Komm wieder zurück: Roman
nach Hause zurückkehrte, hatte ich das Gefühl, auf einer Insel gefangen zu sein, wo es alles, was ich zum Leben brauchte, nicht gab«, sagte er.
Ein Lufthauch saugte die weißen Gardinen ans Fliegengitter, und die Gänsehaut richtete die feinen blonden Härchen auf Annies Armen auf. Worauf er hinauswollte, erschien ihr vage und zu groß, als dass sie damit etwas hätte anfangen können, doch irgendwie verstand sie das. Menschen landeten am falschen Ort. Sie hatte sich immer gewünscht, in Kinderbüchern zu leben, wo Mädchen dicke Wollhandschuhe trugen und unter einem Schneehimmel aufwachten. Sie wollte da leben, wo Blätter rote und orange Striche auf die Berghänge malten. Nichts hasste sie so sehr wie die Hitze, die immer ihre Schultern verbrannte, sodass sich auf wunden Stellen die Haut ablöste wie bei einer gelben sich häutenden Rattenschlange. Sie hasste geschwollene Finger im Sommer. Sie hasste es, wenn Mücken ihr das Leben aussogen, wenn das Gras zu hoch war. Eidechsen in der Badewanne, wenn sie den Duschvorhang aufzog. Irgendwo auf der Welt gab es einen Ort nur für sie, genau den Ort, wo sie hingehörte. Aber was, wenn sie ihn nie fände? Was, wenn er sich als die Küste vom Michigansee entpuppte? Oder als ein Land, das sie wahrscheinlich nie besuchen würde, wie Island oder Neuseeland?
»Kearney«, sagte ihre Mutter, als ob sie die Wahrheit, die wahre Geschichte, aus seinem Mund hören wollte. Sie rieb sich die Hände vorn an ihrer Schürze ab.
»Als Jugendlicher bin ich noch mehrmals wieder hingefahren«, sagte er. »Aber der Schnee war nie wieder genau derselbe. Die Winter scheinen jedes Jahr wärmer zu werden.«
»Kearney.«
»Diese Enttäuschung hat mich verbittert«, sagte er. »Ich versuche immer noch, mit meiner Hassliebe für nordische Himmel klarzukommen.«
»Kearney.« Jetzt nur noch ganz leise geflüstert.
Der Tisch war leer bis auf die Krümel, die Zeitungsseite über die Todesstrafe und Annies Hand, die den Rest eines Buttermilch-Brötchens hielt.
Ihre Mutter lehnte sich mit dem Rücken an die Spüle, verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Schultern nach vorne.
»Ist der Mann überhaupt gestorben?«, fragte Calder.
»Was?«, fragte ihr Vater.
»Der Vetter«, sagte Calder ebenso zum Vater wie zur Mutter. »Ist er denn an Tetanus gestorben?« Er umklammerte die Tischkante, offensichtlich ein Versuch, seine Beine daran zu hindern, unter dem Tisch zu baumeln.
Der Blick des Vaters wanderte am Fensterrahmen entlang hinter die Mutter, die mit hängenden Armen zu ihm hinging und ihm den Nacken streichelte. Dann rieb sie seinen Arm und küsste sein Haar über der Schläfe, ihre Lippen blieben dort sehr lange liegen.
»War er in Wirklichkeit dein Vetter, Mom?« Calders Stimme wurde schrill. Er klammerte sich noch fester an den Tisch, als wollte er ihn im Fußboden verankern.
Annie stopfte sich das letzte Stück Buttermilch-Brötchen in den Mund. Sie konzentrierte sich auf ein dunkles Astloch im Fichtenholz der Tischplatte, fuhr mit steifem Finger über die Risse und rieb die blanke Oberfläche, bis es quietschte.
Ihre Mutter nahm Annies Hand und drückte sie. Sie lächelte das traurigste Lächeln der Welt, und es fühlte sich an wie eine Hitzewallung, die den leeren Raum zwischen ihnen füllte.
»Ja, Calder«, sagte sie. »Ja.«
Eine Frauenstimme im Radio sang in getragenem Ton, der wie Weinen klang, über süße Träume.
»Emmylou«, sagte ihr Vater, als ob Emmylou Harris am Fenster wäre. »Hör dir das an, Annie. Eines Tages könntest du das sein.«
ZWÖLF
Annies Lider sind schwer vom vielen Weinen. Kalte Böen beißen ihre geröteten Augen. Sie schließt sich in ihrem Wagen in Onkel Calders Auffahrt ein, dreht die Heizung auf und wartet, bis sie sicher ist, dass ihre Stimme wieder ruhig klingt.
Eisregen prasselt auf die Kühlerhaube. Sie klappt ihr Handy auf und ruft Mrs Lanie an.
»Der Rest ist im Eimer, meine Liebe«, sagt Mrs Lanie. »Ich weiß Ihre Bemühungen zu würdigen. Aber die vordere Treppe ist schon vereist, und die steht am warmen Haus. Sie können sich also den Zustand des Hains da draußen vorstellen.«
Annie öffnet den Mund. Weiße Atemwölkchen entströmen ihren Lippen.
Die meisten Tangelos gehen an ein Kinderheim in Altamonte Springs. Sie mag sich nicht vorstellen, dass diese Kinder keine oder nur Äpfel aus dem Norden bekommen als weiteren Beweis, dass man sich auf nichts verlassen kann.
Wut kocht in ihr hoch. Heißer und tiefer als
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