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Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Reed
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Wohnzimmer hängen und stehen, biegen und drehen sich zum großen Fenster hin, dessen Holzläden geschlossen sind. Sie zieht an den schweren Kordeln, und als die Jalousien hochgehen, kann sie beinahe spüren, wie die Pflanzen an den Lichtstreifen saugen.
    Alles sieht so aus wie immer, klare Linien und Möbel und Wände in Naturfarben. Viel Grün. Seine Wohnung fühlt sich an wie ein japanischer Wald im Juni, obwohl die Ausnahme immer zum Blickfang wird, zum Beispiel das abstrakte Gemälde, ein roter Klecks über dem Kamin.
    Die Schlafzimmertür steht offen, und sie ist überrascht, das Bett zerwühlt vorzufinden. Die kaffeebraunen Laken und die Decken hängen unordentlich von einer Ecke des Betts herab. Anscheinend ist Calder schnell aus dem Bett gesprungen, hat die Decken abgeworfen und ist losgeprescht. Natürlich. Die Polizei vor der Tür. Nie hätte er das Bett so verlassen, wäre er nicht dazu gezwungen gewesen. Sie denkt an ihn in seiner Zelle, jedes Mal zwinkernd und knurrend und hampelnd, wenn ihm dieses ungemachte Bett einfällt. In ihrer Vorstellung hält er ein Kissen wie der Indianer, nur ist es nicht das Gesicht eines anderen, in das er es drücken will, sondern sein eigenes.
    Ein kleines Foto steckt in der Ecke des schwarz gerahmten Spiegels über der Kommode. Annie weiß sofort, dass es Sidsel ist. Blondes glattes Haar und ein buntes Tuch um den Hals geschlungen. Sie sitzt auf einem Stuhl, offenbar in einem Gartenlokal in Dänemark, die Ellenbogen auf das schmiedeeiserne Tischchen gestützt. Sie lächelt, ihr Kinn ruht auf ihren Händen. Hinter ihr steht ein weißes Fachwerkhaus mit rotem und weißem Blumendekor auf den Fensterläden. Ein Reetdach zieht sich schräg hinunter wie ein ordentlich aufgeschichteter Heuhaufen mit unregelmäßigen Lagen aus hellgrünem Moos am Rand. Das erinnert sie an Grimms Märchen, die ihre Mutter ihr einige Jahre nach der Eröffnung von Disney World geschenkt hat. Annie war damals zehn Jahre alt. »Das sind die Originalmärchen«, sagte ihre Mutter, und obwohlAnnie verstanden hatte, dass das ein Hinweis darauf sein sollte, was Disney alles beschönigt hatte, war Annie dennoch überrascht über die Geschichten, in denen Kinder eingesperrt und bestraft wurden, der böse Wolf den Bauch aufgeschnitten bekam und nicht alle »glücklich und zufrieden lebten bis an ihr Ende«. Jedes Märchen bestand aus krassen Lektionen für unartige Kinder. Jedes endete mit einem dunklen Schlussakkord.
    Sie steckt das Foto wieder in den Spiegel, hebt das Bettzeug vom Fußboden auf und riecht dabei Calder. Da ist noch ein leicht süßlicher Duft. Sidsels Parfüm oder Shampoo, dann noch einer, der muffig und erdig ist, und sie weiß, dass dies die beiden gemeinsam sind.
    Annie zieht Laken und Decken so stramm und gleichmäßig, wie sie nur kann.
    Sie wendet sich zum Gehen, und plötzlich hört sie eine verirrte Grille hinter einer Reihe von Kakteen auf der Fensterbank zirpen. »Hör dir das an«, flüstert Annie. Eine Erinnerung lässt sie das laut aussprechen.
    »Hör dir das an«, hatte Calder gesagt, als einmal eine Grille ungewöhnlich laut zirpte. Es war Juni. Sie saßen auf Gartenstühlen mitten in Annies Garten, weit genug vom Lichtschein des Hauses entfernt, um den von Tausenden Sternen übersäten Nachthimmel zu sehen. Ihre Gitarre lag quer über ihrem Schoß. Sie wollte Calder etwas vorspielen, das sie an dem Morgen fertig geschrieben hatte. Owen arbeitete spät im Studio.
    »Klingt so, als reibt der Grillenmann gerade seine Flügel für eine verehrte Grillendame.«
    »Ich weiß gar nicht, warum die so was machen.« Sie klimperte auf der Gitarre. »Sie bringen den Mädchen ein Ständchen?«
    »Ja. Aber nicht so, wie du glaubst. Wenn einer von den Männern loslegt, bleiben die anderen in der Nähe still. So als ginge eine unsichtbare Mauer hoch, die sie verstummen lässt. Unter der Veranda gibts jeweils nur ein Solo.«
    »Sie warten, bis seine Flügel erschlaffen, bevor sie es selbst mal versuchen?«
    Calder lachte. »Das ist der niedliche Teil. Oder der kranke, wie man’s nimmt. Die Stillen schleichen sich tatsächlich heran und schnappen sich die Weibchen, während diese den Sänger anschmachten. Die sind wie Teenager, die bei den Mädchen landen können, nachdem die den ganzen Tag die Starfotos im
Tiger-Beat
Heft angeschmachtet haben.«
    »
Tiger Beat
? Wie alt bist du denn?!«
    »So isses. Die Weibchen platzen vor lauter Grillenlust, dass es ihnen schnurz ist. Und das ist immer

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