Komm wieder zurück: Roman
las sie Passagen laut vor, für niemanden im Besonderen, so wie jetzt.
»Ach, um Himmels willen«, sagte sie. »Wir fallen wieder ins Mittelalter zurück.«
Es war Sonntagmorgen. Das Haus duftete nach gebratenem Speck, Kaffee und warmen Buttermilch-Brötchen. Die Familie war um den Frühstückstisch versammelt, Annies Vater zu ihrer Linken in einem weißen T-Shirt und roter Schlafanzughose. Ihre Mutter zu ihrer Rechten trug schon blaue Shorts und hatte das kupferfarbene Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der auf ihrer gestreiften ärmellosen Bluse lag. Sie war der hübsche Mittelpunkt, aus dem alles andere zu fließen schien. Essen, Pläne für den Tag, die Neuigkeiten aus der Welt um sie herum. Zeitungen lagen ausgebreitet über den jetzt leeren Tellern.
Calder saß Annie gegenüber und las die Comics. Seit dem Vorfall mit den Pinckneys in der Woche zuvor sah er sie mit anderen Augen. Er hatte sich einfach anders als sonst benommen, Punkt.
»Die Jungs prügeln sich ständig mit anderen«, hatte sie nach seinem ersten Schweigetag gesagt. »Hast du Angst, dass wir Ärger kriegen? Das passiert schon nicht. Jeder weiß, dass ihr Daddysie regelmäßig vertrimmt. Und der kann bestimmt seine eigene Handschrift nicht von der anderer Leute unterscheiden. Und überhaupt – glaubst du wirklich, die erzählen, dass ihnen ein
Mädchen
die blutigen Beulen am Kopf verpasst hat?« Das schien ihn noch verschlossener zu machen.
»Die
Todesstrafe
wieder einführen!«, sagte ihre Mutter. »Mein Gott. Wie kann ein vernünftiger Staat Hier steht …« Sie überflog die Seite und formte beim Suchen Worte mit dem Mund.
Calders Brauen zuckten auf und ab wegen der Comics. Annie trank ihren Saft und kaute breiige Stückchen, die zwischen den Zähnen kleben blieben.
Eine traurige männliche Singstimme drang aus dem goldfarbenen Gewebe der Radiolautsprecher. Die zweite Kaffeekanne gurgelte durch die Maschine.
»Das ist Waylon Jennings, Annie«, sagte ihr Vater hinter seiner Zeitung. »Merk dir, was ich sage: Der kommt noch ganz groß raus.«
Annie biss in ein blätteriges, mit Butter und Traubengelee bestrichenes Buttermilch-Brötchen. Sie lauschte dem weichen Bariton, und in dem Moment vergaß sie alles außer der Musik und dem Brötchen, dessen Kruste an ihrem Gaumen klebte. Sie löste sie mit der Zunge, und ihr ganzer Körper entspannte sich in der süßen Wärme.
Ihre Mutter schnalzte wieder mit der Zunge. »Hier«, sagte sie. »Dieser Anwalt der Gerechtigkeit! Ich zitiere: ›Diese Funktion mag vielen unsympathisch sein, doch sie ist wesentlich in einer geordneten Gesellschaft, die von ihren Bürgern verlangt, sich auf den Rechtsweg zu verlassen und nicht auf Selbsthilfe, um erlittenes Unrecht zu rächen.‹ Zitat Ende. Was soll das überhaupt bedeuten?«, fragte sie. »Dass wir alle einfach rumlaufen und Leute töten, die das Gesetz brechen, wenn die Regierung das nicht für uns übernimmt?« Sie stöhnte und trank einen Schluck Kaffee. »Wie haben die uns nur diesen Scheiß eingebrockt? Wir sind am Steuer eingeschlafen, Kearney.« Während sie unverwandt in die Zeitung starrte, hob sie ihre Arme. »Wir leben im Jahr 1976, und wir tötenMenschen, um zu zeigen, dass Töten falsch ist. Sehe ich als Einzige die Ironie darin?«
Annie spürte Calders Blick auf sich ruhen. Sie konzentrierte sich auf die Mutter, heuchelte Interesse an dem, was sie sagte.
Ihr Vater zog die Zeitung weg, als hätte er etwas Wichtiges beizusteuern. Ihre Eltern ergänzten sich, beide trugen zu einem Gespräch bei, bis sie ein einziges, einvernehmliches Bild malten. Sie waren ein Team. Kearney und Miriam. Salz und Pfeffer. Sonne und Mond. Schuhe. Einer ohne den anderen fehl am Platz. Doch jetzt funkelten die Augen des Vaters, er sah quer durch das Zimmer zur Spüle und dann hoch, mit einem leicht schief gelegten Kopf, um das Küchenfenster herum, und dabei zuckte sein Kopf, als würde sein Blick dem Schwanz einer schreckhaften Maus verfolgen. Er fügte den Worten der Mutter nichts hinzu.
So hatte er schon vorher mal gestarrt, wenn nicht auf die Vorhänge, die sich im Wind bewegten, dann auf Türrahmen, ein Usambaraveilchen, eine Reihe von Kratzern auf dem Fußboden. Niemand wusste genau, was davon zu halten war. Letzte Woche hatte ihn ihre Mutter auf der Terrasse gefunden, wie er wer weiß wie lange die leere Schaukel am Baum anstarrte, bis sie ihn zum Sofa führte, ihm einen nassen Waschlappen auf den Kopf legte und sagte, er solle sich hinlegen
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