Komm wieder zurück: Roman
Zwinkernd kam er näher und rutschte neben sie. Sie setzte sich auf.
Drinnen kratzte und krachte ein Esszimmerstuhl. Ein Glas zerbrach, und sie hatte keinen Zweifel, dass der Drink der Mutter an einer Wand klebte. Calder und Annie sahen sich nicht einmal an, sie sahen nur auf die Terrasse mit dem Grill hinaus und die große Wiese dahinter. Von der Hitze her hätte es Hochsommer sein können.
Calder räusperte sich wieder. »Sollen wir Onkel Calder anrufen?«
»Ich hätte das nicht sagen dürfen.« Annie warf einen Blick in Richtung Küche. »Es tut mir leid.« Doch während sie dies sagte, tat es ihr immer noch gut, das alles mal losgeworden zu sein, und sie bereute es keineswegs. Was Onkel Calder betraf, so hatte sie längst die Nase voll davon, ihn anzurufen. Immer wenn er an die Tür klopfte, funkelte die Mutter sie böse an, als würde sie sich schämen, für ihre Kinder, ihr Leben, die Tatsache, dass ihr Mann gestorben war. Sie schämten sich auch und ließen es die ganze Welt sehen. »Geht nicht an die Tür«, pflegte sie zu sagen. »Untersteht euch, die Tür aufzumachen!« Nachdem er das letzte Mal ohneanzuklopfen direkt durch die Hintertür gekommen war und sie mitsamt ihren Kleidern unter die Dusche gestellt hatte, obwohl sie um seinen Kopf herum in die Luft boxte, hatte sie mit lasch erhobenem Zeigefinger Annie und Calder verboten, ihn jemals wieder anzurufen.
»Lass sie«, sagte Annie. »Lass sie tun, was sie nicht lassen kann. Wir müssen ja nicht hier sitzen und ihr dabei zuhören.«
Annie trat ins Freie, wo die Luft noch stickiger war als erwartet. Sie Sonne knallte herunter und strahlte vom Garten ab wie ein Toaster, der alles von beiden Seiten röstete. Beim Hinausgehen ließ Calder das Fliegengitter hinter sich zufallen, und das Geräusch musste ihre Aufmerksamkeit erregt haben.
Als sie an der Autoreifenschaukel ankamen, war die Mutter zwischen der Fliegentür und dem Rahmen eingekeilt wie in einer Falle. »Ich hab das Essen für
euch
gekocht!«, rief sie. »Dabei hab ich selbst gar keinen Hunger.« Sie ging hinein, drehte sich aber noch mal um. »Schlagt nicht nach den Bienen.« Sie hatte einen gereizten Unterton. »Dieser Pinckney-Junge ist nirgendwo zu sehen.« Sie warf Blicke in beide Richtungen, als ob sie nach ihm suchen würde.
Schweiß rann über Annies Brust. Eine Libelle summte an ihrem Ohr vorbei, die Sonne brannte durch das Loch im Rücken ihres Kleids. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sich die Welt in ein Riesenrätsel verwandelt. Sie konnte nicht länger aufwachen und sich darin bewegen, ohne zu denken, ohne etwas herauszufinden. Sie konnte nicht tun, was ihr gefiel. Jeder Tag war ein Labyrinth, aus dem sie herausfinden musste. »Wovon redest du?«, fragte sie ihre Mutter quer durch den Garten und wandte sich an Calder. »Was meint sie denn damit?«
»Nichts«, sagte er. »Vergiss es.«
»Hat es dir keiner erzählt?«, fragte die Mutter. Plötzlich huschte ein verwirrter Blick über ihr Gesicht. »Ich dachte, ich hätte es dir damals im Krankenhaus gesagt.« Sie stolperte in den Garten und streckte die Arme nach Calder aus. »Ich hatte wohl andere Dinge im Kopf …«
Calder wich zurück, und sie stolperte vorwärts auf dem sandigen Gras, fing sich aber mit rudernden Armen.
»Du hast fünf Sekunden, um es mir zu sagen –
sonst
…!«, sagte Annie zu Calder, ohne zu wissen, was sie mit »sonst« meinte, doch sie vermutete, dass er jetzt das Bild, wie sie auf die Pinckneys eindrosch, frisch vor Augen hatte.
»Sie ist doch nur besoffen«, sagte er, und das Entsetzen über diese Worte löschte alles aus – Vögel, Libellen, den Wind, alles.
Die Mutter sah Annie an, ihr Mund klappte auf, als ob Annie diejenige gewesen wäre, die es gesagt hatte. Als müsste sie um Verzeihung bitten. Dann breitete die Mutter ihre Finger über ihrem Gesicht aus, und ihr Rücken bebte. Annie konnte nicht erkennen, ob sie lachte oder weinte. Beides war schlimm. Mit erstickter Stimme sagte die Mutter: »Du weißt, was ich meine, Calder. Du hättest fast dafür gesorgt, dass der Pinckney-Junge euch beide umbringt.«
Jetzt kamen sie der Sache näher.
Ihre Mutter breitete ruckartig die Arme aus. »An dem Tag hätte ich euch alle drei verlieren können.« Sie wischte sich das Gesicht ab und stolperte im Kreis, offenbar darüber nachgrübelnd. »Hey!«, blaffte sie plötzlich wie die Besoffenen am Bahnhof im Stadtzentrum. »Hey. Ich hab Glück gehabt«, sagte sie. »Wir hatten alle Glück. Wir
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