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Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Reed
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sogar gegenüber der Mutter milde.

EINUNDZWANZIG
    Owen schnarcht leise in Annies Bett. Sie hat die Heizung hochgedreht, und die Fensterscheibe beginnt zu laufen. Durch die freien Flächen auf dem Glas werden Streifen von Schnee sichtbar, eine Wintercollage, die sich um das ganze Zimmer zieht. Annie holt eine Bettdecke aus dem Kiefernschrank, und es riecht nach Sägemehl, als sie diese über Owens ausbreitet. Er rührt sich nicht, nicht einmal, als die Lupe in ihrer Tasche gegen das Telefon klappert. Die Schlafzimmertür fällt leise hinter ihr ins Schloss.
    So geht das doch nicht. Im Wohnzimmer bläst sie Staub vom Hals ihrer Gitarre. Er kann nicht einfach so hereinschneien. Sie zupft die untere E-Saite, es klingt so fremd, so vertraut, dass es selbst den Möbeln aufzufallen scheint.
    Sie braucht neue Saiten.
    Aber eines nach dem anderen. Dr. Collins wohnt auf einem Grundstück von mehreren Hektar, das Calder in Ordnung hält. Er ist der Hausarzt der Familie Walsh, solange Annie zurückdenken kann, und sie findet nichts dabei, ihn zu bitten, Owen zu untersuchen. »Ich kann in ein, zwei Stunden da sein«, sagt er ihr am Telefon. Er klingt etwas übereifrig. Er war von jeher in Annies Mutter verschossen und denkt vielleicht, dass sie da ist.
    Binnen Sekunden ist sie zur Tür hinaus und im Wagen, fährt vorsichtig, um ein Gefühl für die Reifenhaftung zu bekommen.Doch noch bevor sie an dem Wachmann vorbeikommt, ist klar, dass der Land Cruiser spielend mit dem Schnee fertig wird.
    Eine Viertelstunde später steht sie in Willys Gitarrenladen vor dem Tresen aus lackiertem Kiefernholz, und Willy fragt: »Bronze oder beschichtet, Saitenstärke dünn oder mittel?« Ihr fast farbloses Gesicht erscheint in dem hohen Spiegel hinter ihm. Ihre trockenen Augen treten hervor, die Zähne sind ungeputzt. Sie trägt die Kleider von gestern.
    »Beschichtet. Mittel«, sagt sie. Sie nimmt sich ein Pfefferminz aus der Schale auf dem Tresen, rollt es auf der Zunge herum und zerknackt es laut, passend zum lebhaften Puls unter ihrer Haut.
    »Schön, dich zu sehen«, sagt Willy, und sie wissen beide, was sie unausgesprochen lassen, und das ist auch in Ordnung. Willy ist ein altmodischer Südstaaten-Gentleman. Er wird keine Fragen stellen und keine Ratschläge erteilen.
    Zu Hause späht sie durch den Spalt in ihrer Schlafzimmertür. Owen ist genau dort, wo sie ihn zurückgelassen hat … er schnarcht, die Arme sind zur Seite ausgestreckt.
    Licht flutet durch das große Fenster ins Wohnzimmer, so still und gedämpft von der Veranda, silbrig und blau vom Schnee. Annie hebt die Gitarre am Hals hoch und dreht aus dem Handgelenk am ersten Wirbel, um die Saite zu lockern. Sie kappt sie oben mit dem Seitenschneider, und da die Spannung nun wegfällt, schnellt die Saite in die Luft.
    Sie erinnert sich, wie Owen vom Geräusch von Metall auf Metall, wie Nägel auf einer Schultafel, immer Zahnschmerzen bekam. Mühelos fädelt sie die Saite durch das Austrittsloch, wickelt sie um den Wirbel und geht zur nächsten über.
    Als sie mit dem Stimmen der neuen Saiten fertig ist, hebt sie die bauchige Unterseite der Gitarre auf ihren Schoß. Zweifellos haben ihr deren reiche Klangpalette, die Farbe und Fülle gefehlt, die Emotion, die andauert, lange nachdem Worte unausweichlich versagt haben. Doch auch deren Gewicht hat ihr gefehlt und der Geruch von Holz, Schweiß und Metall an ihren Fingern. So sehr wie ein Liebhaber hat sie ihr in ihren Armen gefehlt.
    Ein Klopfen an der Tür holt sie mit einem Ruck ins Zimmer zurück. Sie stellt die Gitarre auf den Ständer.
    Dr. Collins betritt das Haus in ausgelassener Stimmung. Er drückt Annie sofort an seinen Mantel. »Wo ist der Patient, Annie Lou?« Ihr zweiter Name ist Louise, und er hat sie Annie Lou genannt, solange sie zurückdenken kann. Seine vertraute Reibeisenstimme, der Geruch seines Aftershaves erinnern sie an die Fieber ihrer Kindheit, an Mandelentzündung, an den Bienenstich im Hain.
    Sie führt ihn ins Schlafzimmer und setzt sich ihm gegenüber auf das Bett, während er Owens Jacke und Hemd öffnet. Er legt ihm ein Stethoskop auf die Brust. Owen wacht auf und begrüßt ihn mit einem schlaftrunkenen Hallo. Er lächelt sogar und tätschelt Annies Hand, bevor er wieder eindämmert. Sie rollen ihn auf die Seite mit dem Gesicht zu Annie, sodass Dr. Collins seinen Rücken abhorchen kann. Owens Hemd fällt zur Seite, und Annie erschrickt, als sie sieht, wie dünn er geworden ist.
    »Vermutlich hat er eine

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