Komm wieder zurück: Roman
atypische Lungenentzündung«, sagt Dr. Collins, während er an verschiedenen Stellen seinen Rücken abhorcht. »Würden Sie mal tief einatmen, Owen?«
Owen öffnet die Augen und holt so tief Luft, dass er husten muss.
»Noch einmal.«
Noch mehr Husten und noch mehr Stellen am Rücken werden abgehorcht, dann zieht sich Dr. Collins endlich das Stethoskop aus den Ohren. »Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört, aber er sollte sich röntgen lassen, wenn es durch die Antibiotika nicht besser wird.« Owen hilft beim Zuknöpfen des Hemds, und seine Augen blitzen schuldbewusst auf, als er den Ehering erblickt. Der Arzt sieht Annie tief in die Augen. Sie blickt zu Boden und reibt ihren leeren Finger, bevor sie sich wieder fängt.
Er wühlt in seiner Tasche auf dem Boden und reicht ihr dann ein Fläschchen Pillen. »Ich denke mal, die hier braucht er sicher. Sorgen Sie dafür, dass er jede davon nimmt. Es sieht nicht so aus, als ob er auf sich aufpassen würde.«
Dr. Collins packt seine Sachen zusammen, und sie verabschieden sich an der Haustür. »Ich glaube, der Mann ist mehr erschöpft als sonst was«, sagt er.
Er hat schlaflose Nächte gehabt wegen dem, was er getan hat, denkt Annie. Hat den Appetit verloren, vielleicht auch ein bisschen seinen Kopf. Die ganze Zeit hatte sie sich vorgestellt, er sei gesund und glücklich. Braun gebrannt und unbekümmert. Und die ganze Zeit ist er nichts weiter als ein Seil gewesen, das in den Händen seiner jungen Frau ausfranst.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee? Tee?«
»Nein, danke. Ich muss noch ein paar Einkäufe in letzter Minute machen.«
»Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Das war das Mindeste, was ich tun konnte.« Er knöpft sich den Mantel zu. »Also. Tun wir doch nicht so, als ob nichts wäre, Annie Lou. Wie zum Teufel ist Calder in diese Mordsache reingeraten?«
Sie sieht Calder immer noch als Siebenjährigen vor sich, wie er auf dem Tisch in Dr. Collins’ Praxis sitzt. Am Kiefer hat er eine Riesenbeule mit einer mehrere Zentimeter langen klaffenden Wunde. Einem Batter ist der Schläger aus der Hand geflogen, als Calder den Werfer spielte. Doktor Collins beugte sich über ihn, um es von Nahem zu sehen. »Wie zum Teufel bist du in so was reingeraten?«, hatte er gefragt.
»Tja«, hatte Calder todernst geantwortet, »die Leute sind nicht immer vernünftig.«
Annie erklärt so gut sie kann, dass in den Zeitungen die Wahrheit steht. Calder traf sich tatsächlich mit der Ehefrau des Mannes. »Um also Ihre Frage zu beantworten – er ist wohl
aus Liebe
da reingeraten.«
»Der Junge könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, geschweige denn einen Menschen töten.«
»Und das werden die auch einsehen. Das Ganze ist bald vorbei«, sagt sie, und vielleicht es der Umstand, dass er Arzt ist, ein Mann, der kommt, um zu heilen, oder die Tatsache, dass Owen unmittelbar auf der anderen Seite der Wand liegt und wieder gesund wird,oder schlicht die Tatsache, dass ihre Gitarre neue Saiten hat. Egal warum, aber zum ersten Mal seit Calders Verhaftung durchströmt sie eine Woge der Beruhigung.
»Was ist mit Ihrer Mutter?«, fragt er. »Wie schlägt sie sich denn?«
»Möchten Sie wirklich keinen Tee?«
»Nein, danke, Ma’am. Ich muss weiter.« Er lässt die Hand am Türknauf ruhen.
»Ihr gehts gut, glaube ich. Besser als früher.«
Er nickt mehrmals, holt tief Luft, und Annie sieht förmlich, wie er ihre komplizierte Familiengeschichte Revue passieren lässt. Suchend sieht er sich im Zimmer um. »Wo ist denn Detour?«
Kaum hat sie es ihm gesagt, schlingt er schon wieder die Arme um sie. Sie drückt ihn ein letztes Mal, und ihr Gespräch endet damit, dass man sich »trotz allem« frohe Weihnachten wünscht. »Wenigstens haben wir Schnee«, sagt sie, bevor ihr die Apfelsinen-und Zitronenbäume einfallen, die Calder auf seinem Grundstück gepflanzt hat.
Sie beobachtet das Schneetreiben, während er davonfährt, dann schließt sie die Tür und lauscht. Selbst nachdem Owen sie verlassen hatte, war da immer noch das Klimpern von Detours Halsbandanhängern zu hören gewesen, wenn er sich die Ohren kratzte und seine Pfoten auf dem Holzfußboden tappten, das vertraute Stöhnen in seinen Träumen.
ZWEIUNDZWANZIG
Ein halbes Jahr, nachdem Annie Joshua bei
Lukeman’s
getroffen hatte, tauchte er auf ihrer vorderen Veranda auf. Statt eines Milchkanisters hielt er einen Weihnachtsstern in den Händen. Es war zwei Tage vor Weihnachten. Annie war gerade sechzehn
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