Komm zurück, mein dunkler Bruder
»Dann nehme ich an, dass eure Mutter der beste Detective der Welt ist, wo ihr doch so weit seid und sie euch trotzdem erwischt hat.«
»Dexterrr«, maulte Astor.
»Nein, Astor, du hältst jetzt mal eine Weile den Mund und hörst mir zu.« Ich starrte sie todernst an, und einen Augenblick glaubte ich, sie würde doch etwas erwidern, aber dann ereignete sich ein Wunder, direkt in unserem Wohnzimmer. Astor änderte ihre Meinung und schloss den Mund.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ich habe von Anfang an gesagt, dass ihr es auf meine Weise tun müsst. Ihr müsst nicht glauben, dass ich immer recht habe«, Astor produzierte ein Geräusch, sagte aber nichts, »doch ihr müsst tun, was ich sage. Oder ich werde euch nicht helfen, und ihr endet im Gefängnis. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Okay?«
Gut möglich, dass sie nicht wussten, was sie von diesem neuen Ton und dieser neuen Rolle halten sollten. Ich war nicht länger Spielkamerad Dexter, sondern ein vollkommen anderer, Dexter der Dunklen Disziplin, den sie nie zuvor erlebt hatten. Sie sahen sich verunsichert an, deshalb erhöhte ich den Druck noch ein wenig.
»Ihr seid erwischt worden«, sagte ich. »Was geschieht, wenn man erwischt wird?«
»Hausarrest?«, schlug Cody unsicher vor.
»Mhm«, sagte ich. »Und wenn du dreißig Jahre alt bist?«
Vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben wusste Astor keine Antwort, und Cody hatte seine Zwei-Wörter-Quote für heute aufgebraucht. Sie wechselten einen Blick und betrachteten dann ihre Füße.
»Meine Schwester Sergeant Deborah und ich verbringen unsere Tage damit, Leute zu fassen, die so etwas tun«, sagte ich. »Und wenn wir sie erwischen, wandern sie ins Gefängnis.« Ich lächelte Astor an. »Hausarrest für Erwachsene. Nur viel schlimmer. Man hockt in einem kleinen Zimmer, kaum so groß wie euer Bad, eingeschlossen, Tag und Nacht. Man pinkelt in ein Loch im Boden. Man bekommt gammligen Abfall zu essen, und es gibt Ratten und jede Menge Kakerlaken.«
»Wir wissen, was ein Gefängnis ist, Dexter«, sagte sie.
»Wirklich? Warum habt ihr es dann so eilig, dorthin zu kommen?«, fragte ich. »Und wisst ihr, was Old Sparky ist?«
Astor betrachtete wieder ihre Füße; Cody hatte bis jetzt nicht aufgeblickt.
»Old Sparky ist der elektrische Stuhl. Wenn sie euch erwischen, fesseln sie euch auf Old Sparky, befestigen ein paar Drähte an euren Köpfen und brutzeln euch wie Speck. Klingt das irgendwie nach Vergnügen?«
Sie schüttelten die Köpfe, nein.
»Deshalb geht es in eurer ersten Lektion ausschließlich darum, nicht erwischt zu werden«, fuhr ich fort. »Erinnert ihr euch an die Piranhas?« Sie nickten. »Sie sehen grausam aus, deshalb wissen die Leute, dass sie gefährlich sind.«
»Aber, Dexter, wir sehen nicht grausam aus«, wandte Astor ein.
»Nein, stimmt«, bestätigte ich. »Und das wollt ihr auch nicht. Wir wollen für Menschen gehalten werden, nicht für Piranhas. Doch die Idee ist dieselbe. Sieh wie etwas aus, das du nicht bist. Denn wenn etwas Schlimmes passiert, dann sind es die grausamen Leute, an die jeder als Erstes denkt. Ihr müsst wie süße, liebenswerte, normale Kinder wirken.«
»Darf ich Make-up tragen?«, fragte Astor.
»Wenn du älter bist«, sagte ich.
»Das sagst du immer«, beschwerte sie sich.
»Und ich meine es so«, bekräftigte ich. »Diesmal seid ihr erwischt worden, weil ihr auf eigene Faust etwas unternommen habt, ohne zu wissen, was ihr tun müsst. Ihr habt nicht gewusst, was zu tun war, weil ihr mir nicht zugehört habt.«
Ich beschloss, dass die Folter nun lange genug gedauert hatte, und setzte mich zwischen sie auf das Sofa. »Ihr macht nichts mehr ohne mich, okay? Und wenn ihr diesmal ein Versprechen abgebt, meint ihr es besser ernst.«
Die beiden schauten langsam zu mir hoch und nickten dann. »Wir versprechen es«, sagte Astor leise, und Cody wiederholte noch leiser: »Versprochen.«
»Na gut«, sagte ich. Ich ergriff ihre Hände, und wir schüttelten sie feierlich.
»Gut«, sagte ich. »Und jetzt gehen wir uns bei eurer Mutter entschuldigen.« Sie sprangen auf, voller Erleichterung, dass das grässliche Strafgericht vorüber war, und ich folgte ihnen aus dem Zimmer, so dicht daran, mit mir zufrieden zu sein, wie niemals zuvor in meiner Erinnerung.
Vielleicht hatte diese Vatersache doch etwas für sich.
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S un Tsu, ein sehr kluger Mann, ungeachtet der Tatsache, dass er schon vor so langer Zeit verstorben ist, schrieb ein Buch mit dem Titel
Die
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