Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
Kunst des Krieges.
Eine der überaus klugen Beobachtungen, die er in diesem Buch festhält, lautet, dass jedes Mal, wenn etwas Schreckliches passiert, die Möglichkeit besteht, das Geschehene zum eigenen Vorteil zu nutzen, so man die Dinge nur richtig betrachtet. Das ist kein kalifornisches New-Age-Pollyanna-Denken, das darauf beharrt, man könne stets Zitronenkuchen backen, wenn das Leben einem Saures gibt. Es handelt sich eher um einen sehr praktischen Rat, der häufiger von Nutzen ist, als man glauben mag.
    Zum Beispiel bestand im Augenblick mein größtes Problem darin, wie ich Cody und Astor weiter zu Hause im Code Harry unterrichten könnte, nachdem ihre Mutter sie erwischt hatte. Und während ich nach einer Lösung suchte, erinnerte ich mich an den guten alten Sun Tsu und versuchte mir vorzustellen, was er wohl getan hätte. Er war natürlich General gewesen, deshalb hätte er vermutlich die linke Flanke mit der Kavallerie attackiert oder so, doch das Prinzip war gewiss dasselbe.
    Deshalb klopfte ich, während ich die Kinder zu ihrer weinenden Mutter führte, im dunklen Wald von Dexters Verstand auf die Büsche, auf der Suche nach einem kleinen Idee-Rebhuhn, das dem alten Chinesen gefallen haben könnte. Und genau als wir drei zögernd vor der schniefenden Rita stehen blieben, hüpfte die Idee hervor und ich schnappte sie mir.
    »Rita«, sagte ich leise, »ich glaube, ich kann das beenden, ehe es uns aus den Händen gleitet.«
    »Du hast gehört, was – es ist uns schon entglitten«, sagte sie und putzte sich ausdauernd die Nase.
    »Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Ich möchte, dass du sie morgen nach der Schule zu mir ins Büro bringst.«
    »Aber ist das nicht – ich meine, hat es nicht gerade deshalb angefangen, weil …«
    »Hast du schon einmal von dem Scared-Straight-Programm [3] gehört?«, fragte ich.
    Sie starrte mich einen Moment an, schniefte und musterte dann die Kinder.
    Und darum wechselten sich am nächsten Nachmittag um halb vier Cody und Astor dabei ab, durch ein Mikroskop im kriminaltechnischen Labor zu schauen. »Das ist ein
Haar?
«, fragte Astor ungläubig.
    »Genau«, bestätigte ich.
    »Das sieht eklig aus!«
    »Der größte Teil des menschlichen Körpers ist eklig, insbesondere, wenn man ihn unter dem Mikroskop betrachtet. Sieh dir das daneben an.«
    Ein eifriges Schweigen folgte, nur unterbrochen, als Cody an ihrem Arm zog und sie ihn wegschubste und sagte: »Hör auf damit, Cody.«
    »Was fällt dir auf?«, fragte ich.
    »Sie sehen nicht gleich aus.«
    »Das sind sie auch nicht«, erklärte ich. »Das erste stammt von dir, das zweite ist meins.«
    Sie schaute noch einen Moment, dann löste sie sich vom Okular und richtete sich auf. »Man kann es sehen«, verkündete sie. »Sie sind verschieden.«
    »Es wird noch besser«, versicherte ich ihr. »Cody, gib mir deinen Schuh.«
    Cody setzte sich gehorsam auf den Boden und schnürte seinen Turnschuh auf. Ich nahm ihn entgegen und streckte die Hand aus. »Komm mit.« Ich half ihm auf die Beine, und er folgte mir auf einem Fuß hüpfend zur nächsten Laborbank. Ich hob ihn auf einen Hocker und hielt den Schuh so, dass er die Sohle sehen konnte. »Dein Schuh«, sagte ich. »Sauber oder schmutzig?«
    Er beäugte ihn gründlich. »Sauber.«
    »Sollte man meinen«, sagte ich. »Sieh genau hin.« Ich fuhr mit einer kleinen Drahtbürste über die Sohle, kratzte sorgfältig den fast unsichtbaren Schmutz aus den Rillen und in eine Petrischale. Eine Probe davon legte ich auf einen Objektträger und spannte diesen ins Mikroskop ein. Astor drängte sich augenblicklich vor. Doch Cody war schneller. »Ich bin dran«, sagte er. »Mein Schuh.« Sie blickte zu mir, und ich nickte.
    »Es ist sein Schuh«, erklärte ich. »Du kannst danach reinschauen.« Anscheinend erkannte sie die Gerechtigkeit dieser Entscheidung an, denn sie trat zurück und ließ Cody auf den Hocker klettern. Ich stellte das Okular ein und sah dabei, dass der Träger alles bot, was ich mir erhofft hatte. »Aha«, bemerkte ich und trat zurück. »Sag mir, was du siehst, kleiner Jedi.«
    Cody schaute mit gerunzelter Stirn mehrere Minuten durch das Mikroskop, bis Astors ungeduldiges Hüpfen so störend wurde, dass wir sie beide ansahen. »Das war lange genug«, maulte sie. »Ich bin dran.«
    »Gleich«, versprach ich und wandte mich wieder an Cody. »Sag mir, was du siehst.«
    Er schüttelte den Kopf. »Zeug.«
    »Okay«, sagte ich. »Jetzt verrate ich es euch.« Ich sah noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher