Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
Streifenpolizisten, die das Gelände bewachten, Detectives in billigen Anzügen und meine Mannschaft, die Langweiler von der Spurensicherung, die auf Händen und Füßen im Gebüsch herumkrochen. Für das bloße Auge alles vollkommen normal. Und so bat ich mein unfehlbares, voll bekleidetes inneres Auge um Antwort.
    Was ist das?,
fragte ich lautlos, schloss meine Augen und suchte beim Passagier nach einer Antwort auf diese beispiellose Zurschaustellung von Unbehagen. Ich war an die Kommentare meines Dunklen Teilhabers gewöhnt, und sehr häufig wurde meine erste Inaugenscheinnahme eines Tatorts von einem heimlichen Flüstern der Bewunderung oder des Vergnügens akzentuiert, aber dies – hier handelte es sich eindeutig um einen Laut der Qual, und ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte.
    Was?
, fragte ich noch einmal. Doch erhielt ich, abgesehen vom unruhigen Schlagen unsichtbarer Schwingen, keine Antwort, weshalb ich alles abschüttelte und den Tatort betrat.
    Die beiden Leichen waren eindeutig an einem anderen Ort verbrannt worden, denn es fanden sich keine Spuren eines Grills, der groß genug gewesen wäre, um zwei durchschnittlich große Frauen so gründlich zu rösten. Man hatte sie an dem See mitten im Campus abgelegt, direkt neben dem Pfad, der um ihn herumführt. Ein Joggerpärchen hatte sie am frühen Morgen entdeckt. Aus der geringen Menge Blut schloss ich, dass ihre Köpfe erst entfernt worden waren, nachdem man sie zu Tode geröstet hatte.
    Ein winziges Detail ließ mich stutzen. Die Körper waren ordentlich ausgerichtet, beinahe ehrerbietig, die verkohlten Arme über dem Brustkorb gefaltet. Und anstelle der abgetrennten Köpfe war am oberen Ende jedes Torsos ein getöpferter Stierschädel plaziert worden.
    Das ist die Art liebevoller Geste, die unweigerlich einen Kommentar des Dunklen Passagiers nach sich zieht, im Allgemeinen ein amüsiertes Flüstern, ein leises Kichern oder sogar einen Stich der Eifersucht. Doch als Dexter dieses Mal murmelte:
Ah, ein Stierschädel, was sagen wir denn dazu?,
reagierte der Passagier unverzüglich mit einem kraftvollen …
    Nichts?
    Kein Flüstern, nicht mal ein Seufzer?
    Ärgerlich forderte ich Antworten und erhielt nicht mehr als ein nervöses Schweigen, als duckte sich der Passagier hinter alles, was Deckung versprach, in der Hoffnung, den Sturm zu überstehen, ohne bemerkt zu werden.
    Ich schlug die Augen auf, mehr überrascht als alles andere. Ich konnte mich an keine einzige Gelegenheit erinnern, zu der der Passagier angesichts eines Musterexemplars unseres Fachs nichts beizutragen gewusst hätte. Und doch war das jetzt der Fall; er war nicht einfach kleinlaut, er verbarg sich.
    Ich betrachtete die beiden verkohlten Leichen mit neuem Respekt. Ich hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte, aber da so etwas nie zuvor passiert war, schien es eine gute Idee, es herauszufinden.
    Angel-Battista-keine-Verwandtschaft kroch auf Händen und Füßen auf der anderen Seite des Pfads herum, wo er sorgfältig irgendwelche Dinge untersuchte, die ich nicht erkennen konnte und die mich auch nicht sonderlich interessierten. »Hast du es schon gefunden?«, fragte ich.
    Er sah nicht auf. »Was gefunden?«, erwiderte er.
    »Keine Ahnung«, sagte ich. »Aber es muss hier irgendwo sein.«
    Er streckte seine Pinzette aus und pflückte einen Grashalm, starrte ihn intensiv an und verstaute ihn in einem Plastiktütchen, ehe er antwortete. »Warum?«, fragte er, »sollte jemand einen Keramikstierschädel da hinlegen?«
    »Weil Schokolade schmelzen würde«, sagte ich.
    Er nickte, ohne aufzuschauen. »Deine Schwester hält es für eine Santería-Angelegenheit.«
    »Ehrlich«, sagte ich. Diese Möglichkeit war mir nicht in den Sinn gekommen, und ich war deswegen ein wenig verschnupft. Immerhin waren wir in Miami; jedes Mal, wenn wir auf etwas stießen, das wie ein Ritual wirkte und Tierköpfe einschloss, sollte uns als Erstes die Santería einfallen. Als afrokubanische Religion, die den Yoruba-Animismus mit Katholizismus kombinierte, war die Santería in Miami weitverbreitet. Tierische Opfer und Symbole waren typisch für ihre Anhänger, was die Stierschädel erklären würde. Und obgleich nur wenige die Santería praktizierten, gab es in den meisten Häusern der Stadt ein oder zwei geweihte Kerzen oder eine Halskette aus Kaurimuscheln, erstanden in irgendeinem Freizeitpark. Die vorherrschende Einstellung innerhalb der Stadt lautete, dass es nicht schaden konnte, ein wenig

Weitere Kostenlose Bücher