Komm zurück, mein dunkler Bruder
mörderische Irre dachten und vorgingen, nachzuvollziehen – nur allzu natürlich, da ich, wie außer Deborah niemand wusste, selbst ein verdrehter, mörderischer Irrer war.
Aber obwohl sich Deborah erst vor kurzem meiner wahren Natur bewusst geworden war, scheute sie sich nicht, sie bei der Arbeit zu ihrem Vorteil zu nutzen. Es machte mir nichts aus; stets gern zu Diensten. Wofür ist Familie da? Und es scherte mich nicht, wenn meine ungeheuerlichen Kameraden ihre Schuld an der Gesellschaft auf Old Sparky beglichen – es sei denn natürlich, es war jemand, den ich mir für meine unschuldigen Vergnügungen aufgespart hatte.
Aber in diesem Fall hatte ich absolut nichts, was ich Deborah erzählen konnte. Eigentlich hatte ich gehofft, sie verfüge über einen Informationskrümel, den sie mir zuwerfen könnte, etwas, das den befremdlichen und uncharakteristischen Rückzug des Dunklen Passagiers erklärte. Selbstverständlich gehörte dies nicht zu den Dingen, die ich Deborah gern verraten wollte. Aber gleichgültig, was ich jetzt zu diesem doppelten Brandopfer äußern könnte, sie würde mir nicht glauben. Sie würde davon ausgehen, dass ich Informationen besaß und sie ihr aus irgendeinem Grund vorenthielt. Das Einzige, was noch misstrauischer ist als eine Schwester, ist eine Schwester, die Polizistin ist.
Sie war mit Sicherheit davon überzeugt, dass ich ihr etwas vorenthielt. »Komm schon, Dexter«, sagte sie. »Raus damit. Sag mir, was du darüber weißt.«
»Schwesterherz, ich weiß wirklich gar nichts«, versicherte ich.
»Bullshit«, sagte sie, sich der Ironie offensichtlich nicht bewusst. »Du verbirgst etwas.«
»Nie im Leben. Würde ich meine einzige Schwester belügen?«
Sie funkelte mich an. »Es hat also nichts mit der Santería zu tun?«
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte ich so besänftigend wie möglich. »Scheint ein guter Anfang zu sein. Aber …«
»Ich wusste es«, schnappte sie. »Aber was?«
»Nun«, begann ich. Und es war mir ehrlich eben erst eingefallen, und vermutlich war es bedeutungslos, aber nun war ich mitten im Satz, deshalb fuhr ich fort. »Hast du je davon gehört, dass ein
Santero
Tonfiguren benutzt hat? Und Stiere – stehen die nicht eher auf
Ziegen
köpfe?«
Sie musterte mich einen Augenblick lang scharf, dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist alles? Mehr hast du nicht?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich nichts weiß, Debs. Es war nur ein Gedanke, etwas, das mir gerade eingefallen ist.«
»Gut«, sagte sie. »Falls du die Wahrheit sagst …«
»Selbstverständlich tue ich das«, protestierte ich.
»Dann hast du einen Furz«, sagte sie und sah sich um, dorthin, wo Captain Matthews Fragen beantwortete, feierlich und männlich den Kiefer vorgestreckt. »Was nur unwesentlich weniger ist als der Bockmist, den ich habe«, sagte sie.
Ich hatte nie zuvor gehört, dass ein Furz weniger war als Bockmist, aber es ist immer schön, etwas Neues zu lernen. Doch selbst diese verblüffende Enthüllung half wenig, die wesentliche Frage zu beantworten: Warum hatte der Dunkle Passagier die Fliege gemacht und war in Deckung gegangen? Im Verlauf meiner Arbeit und meines Hobbys habe ich Dinge gesehen, die sich die meisten Menschen nicht einmal vorstellen können, es sei denn, sie haben einige dieser Filme gesehen, die in Fahrschulen gezeigt werden, um vor den Gefahren des Fahrens unter Alkoholeinfluss zu warnen. Und in jedem Fall, mit dem ich jemals konfrontiert wurde, egal wie scheußlich, gab mein Schattenkamerad eine Art prägnanten Kommentar zu den Vorgängen, und sei es nur ein Gähnen.
Aber jetzt, mit nichts Schlimmerem konfrontiert als zwei verkohlten Leichen und ein bisschen Amateurtöpferei, hatte der Dunkle Passagier beschlossen, davonzuhuschen wie eine verängstigte Spinne und mich ohne Führung zurückzulassen – ein vollkommen neues Gefühl für mich, und ich stellte fest, dass es mir ganz und gar nicht gefiel.
Doch was sollte ich tun? Ich kannte niemanden, mit dem ich über etwas wie den Dunklen Passagier reden konnte; zumindest nicht, wenn ich weiterhin in Freiheit leben wollte, woran mir sehr lag. Soweit ich wusste, gab es außer mir keine Experten zu diesem Thema. Aber was wusste ich wirklich über meinen Lieblingsgefährten? War ich wirklich so beschlagen, nur weil ich mir schon so lange einen Raum mit ihm teilte? Die Tatsache, dass er es vorgezogen hatte, in den Keller zu krabbeln, machte mich außerordentlich nervös, als würde ich ohne Hosen durch
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