Komm zurück, mein dunkler Bruder
meldete, hörte ich Deborah, die sich nicht die geringste Mühe gab, auf meinen fröhlichen Ton einzugehen: »Ich brauche dich hier. Sofort!«
»Ich bin im Augenblick schrecklich beschäftigt. Mit äußerst wichtigen Kanapees«, erklärte ich ihr. »Kannst du mir zwanzigtausend Dollar leihen?«
Sie räusperte sich bedrohlich und knurrte: »Ich hab keine Zeit für diesen Scheiß, Dexter. Die vierundzwanzig Stunden beginnen in zehn Minuten, und ich muss dich dabeihaben.« In der Mordkommission war es Sitte, alle an einem Fall Beteiligten vierundzwanzig Stunden nach Beginn der Ermittlungen zusammenzurufen, um sicherzustellen, dass die Organisation funktionierte und jeder auf dem neuesten Stand war. Und Debs hatte offensichtlich das Gefühl, ich hätte einige verdrehte Erkenntnisse beizutragen – sehr aufmerksam, wirklich, aber nicht richtig. Da der Dunkle Passagier allem Anschein nach noch immer eine Auszeit nahm, glaubte ich nicht, dass mich in nächster Zukunft eine Erleuchtung überkommen würde.
»Debs, zu der ganzen Angelegenheit fällt mir wirklich überhaupt nichts ein«, sagte ich.
»Komm einfach her«, befahl sie und legte auf.
[home]
8
H inter der Zufahrt von der 395 aus Miami staute sich der Verkehr auf der 836 auf einer halben Meile. Wir krochen Zentimeter für Zentimeter zwischen den Ausfahrten voran, bis wir die Ursache erkennen konnten: Ein Laster mit Wassermelonen hatte seine Ladung verloren. Eine zwanzig Zentimeter dicke Masse rot-grünen Matsches zog sich quer über die Fahrbahn, hier und da von Fahrzeugen in diversen Stadien der Zerstörung gesprenkelt. Ein Krankenwagen überholte auf dem Randstreifen, gefolgt von einer Autoschlange, deren Fahrer zu bedeutend waren, um sich von einem Stau aufhalten zulassen. Hupen dröhnten, Menschen brüllten und schwenkten die Fäuste, und von irgendwoher hörte ich einen einzelnen Schuss. Es tat gut, wieder mitten im wahren Leben zu stehen.
Als wir uns endlich durch den Stau gekämpft hatten, waren wir schon eine Viertelstunde zu spät und brauchten eine weitere Viertelstunde zurück zur Arbeit. Schweigend fuhren Vince und ich mit dem Aufzug in den zweiten Stock, doch als sich die Türen öffneten und wir hinaustraten, hielt er mich zurück. »Du tust das Richtige«, versicherte er mir.
»Ja, gewiss«, sagte ich. »Doch wenn ich es nicht schnell tue, wird Deborah mich umbringen.«
Er ergriff meinen Arm. »Ich meine Manny. Du wirst von seinen Sachen begeistert sein. Es macht wirklich einen Unterschied.«
Mir war bereits klar, dass es wirklich einen Unterschied machen würde, und zwar auf meinem Konto, doch abgesehen davon, konnte ich keinen Sinn darin erkennen. Würden sich alle wirklich besser amüsieren, wenn man ihnen statt kalter Platten eine Reihe anscheinend außerirdischer Objekte ungewisser Nutzung und Herkunft vorsetzte? Eine Menge menschlicher Verhaltensweisen sind mir ein Rätsel, aber dies schien wirklich das Sahnehäubchen auf der Torte – vorausgesetzt, wir bekamen überhaupt Torte, was meiner Meinung nach keineswegs gesichert war.
Eines jedoch verstand ich sehr wohl, und das war Deborahs Einstellung zu Pünktlichkeit. Unser Vater hatte sie an uns weitergegeben, und sie besagt, dass Verspätung mangelnden Respekt bezeugt und unentschuldbar ist. Deshalb eiste ich mich aus Vince’ Griff los und schüttelte ihm die Hand. »Ich bin sicher, dass wir mit dem Essen äußerst zufrieden sein werden«, sagte ich.
Er hielt meine Hand fest. »Es ist mehr als das.«
»Vince …«
»Du triffst damit eine Aussage über den Rest deines Lebens«, sagte er. »Damit bekundest du, dass dein und Ritas gemeinsames Leben …«
»Mein Leben ist in Gefahr, wenn ich mich jetzt nicht beeile, Vince«, mahnte ich.
»Es macht mich so glücklich«, erwiderte er. Ich fand diese Zurschaustellung eines anscheinend echten Gefühls so nervenaufreibend, dass meiner Flucht den Korridor hinunter zum Konferenzraum tatsächlich etwas wie Panik anhaftete.
Der Raum war voll, da der Fall als höchst relevant eingestuft worden war, kein Wunder angesichts der hysterischen Medienberichte des gestrigen Abends über zwei junge Frauen, die man verbrannt und ohne Köpfe entdeckt hatte. Deborah funkelte mich wütend an, als ich hineinschlüpfte und neben der Tür stehen blieb, doch ich erwiderte ihren Blick mit einem, wie ich hoffte, entwaffnenden Lächeln. Sie unterbrach den Sprecher, einen der Streifenpolizisten, die als Erste an der Fundstelle gewesen waren.
»Gut«, sagte
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