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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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sie. »Wir wissen, dass wir die Köpfe nicht am Fundort entdecken werden.«
    Ich hatte angenommen, dass meine Verspätung und Deborahs grimmiger Blick mir mit Sicherheit den Preis für das »dramatischste Eintreten« einbringen würden, aber weit gefehlt.
    Denn gerade als Debs versuchte, das Treffen wieder in Schwung zu bringen, wurde mir die Schau gestohlen wie einer Kerze von einem Brandbombenangriff.
    »Kommt schon, Leute«, forderte Sergeant Schwester. »Vorschläge bitte.«
    »Wir könnten den See trockenlegen«, meinte Camilla Figg, eine fünfunddreißig Jahre alte Streberin von der Spurensicherung. Normalerweise hielt sie den Mund, und es war eine Überraschung, sie sprechen zu hören. Offensichtlich gefiel einigen Leuten Ersteres besser, denn ein dünner, hitziger Polizist namens Corrigan ging augenblicklich zum Angriff über.
    »Blödsinn«, rief Corrigan. »Köpfe treiben an der Oberfläche.«
    »Sie treiben nicht oben – sie bestehen aus massiver Knochenmasse«, beharrte Camilla.
    »Einige schon«, erwiderte Corrigan, was ihm ein paar kurze Lacher einbrachte.
    Deborah runzelte die Stirn und wollte gerade mit ein, zwei autoritären Worten durchgreifen, als ein Geräusch aus dem Flur sie innehalten ließ.
    BUMM .
    Nicht besonders laut, aber dennoch zog es die gesamte Aufmerksamkeit des Raums auf sich.
    BUMM .
    Näher, ein wenig lauter, um alles in der Welt, es kam näher, wie in einem billigen Horrorfilm …
    BUMM .
    Aus einem unerfindlichen Grund schien jeder im Raum den Atem anzuhalten und sich langsam zur Tür zu wenden. Und wenn auch nur, um nicht aufzufallen, wollte ich mich selbst gerade umdrehen und einen Blick in den Flur riskieren, als ich von dem denkbar schwächsten Kitzeln, nur dem Hauch einer Zuckung in meinem Inneren, aufgehalten wurde. Darum schloss ich die Augen und lauschte.
Hallo?
, rief ich lautlos, und nach einer sehr kurzen Pause antwortete ein leises, leicht zögerndes Geräusch, beinahe wie ein mentales Räuspern, und dann …
    Jemand im Raum murmelte »Heilige Mutter Gottes«, mit genau der Art ehrfürchtigen Grauens, das unfehlbar mein Interesse weckt, und das leise Fast-Geräusch in mir schnurrte ein bisschen und verklang. Ich öffnete die Augen.
    Ich kann nur anführen, dass die Regung des Dunklen Passagiers auf der Rückbank mich mit solchem Glück erfüllte, dass ich meine Umgebung für einen Augenblick völlig ausblendete. Das ist stets riskant, besonders für künstliche Menschen wie mich, denn als ich die Augen aufschlug, bewies sich diese Faustregel wieder einmal mit erstaunlicher Durchschlagskraft.
    Es war tatsächlich billiger Horror.
Die Nacht der lebenden Toten
, doch leibhaftig, nicht auf Zelluloid. Im Eingang stand, direkt zu meiner Rechten, ein Mann, der eigentlich tot sein sollte, und starrte mich an.
    Sergeant Doakes.
    Doakes hatte mich nie gemocht. Er schien der einzige Polizist der gesamten Truppe, der mich in Verdacht hatte, das zu sein, was ich tatsächlich war. Ich hatte stets angenommen, dass er meine Tarnung durchschauen konnte, weil er in gewisser Weise dasselbe war, ein eiskalter Killer. Er hatte versucht zu beweisen, dass ich beinahe sämtlicher Unarten schuldig war, und versagt, und dieses Versagen wiederum hatte dazu beigetragen, dass mir seine Zuneigung versagt blieb.
    Als ich Doakes das letzte Mal gesehen hatte, wurde er gerade von zwei Sanitätern in einen Krankenwagen verfrachtet. Er war bewusstlos gewesen, zum Teil eine Folge des Schocks und der Schmerzen, welche der Amputation seiner Zunge, Füße und Hände durch einen sehr talentierten Amateurchirurgen zu verdanken waren, der sich von Doakes ungerecht behandelt gefühlt hatte. Nun stimmte es zwar, dass ich die Idee mit dem Teilzeitdoktor vorsichtig angeregt hatte, doch hatte ich zumindest den Anstand besessen, Doakes zu überreden, den Plan durchzuführen, um den unmenschlichen Feind zu fassen. Und außerdem hatte ich ihn trotz des beträchtlichen Risikos für mein eigenes kostbares und unersetzliches Leben beinahe gerettet. Die schneidige Rettung zur rechten Zeit, auf die Doakes zweifellos gehofft hatte, war mir zwar nicht gelungen, doch ich hatte es versucht, und es war wirklich und wahrhaftig nicht meine Schuld, dass er eher tot als lebendig gewesen war, als man ihn fortschaffte.
    Deshalb war ich nicht der Ansicht, dass ein wenig Anerkennung für die große Gefahr, in die ich mich um seinetwillen begeben hatte, zu viel verlangt war. Ich brauchte keine Blumen oder eine Medaille oder auch nur

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