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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Jessica verschwunden?«, erkundigte ich mich.
    Er nickte. »Eigentlich sollte sie mich zum Joggen treffen, wissen Sie. So wie jeden Morgen. Einmal die Runde und dann noch ein paar Bauchmuskelübungen. Aber gestern ist sie nicht gekommen. Und heute auch nicht. Deshalb denke ich, äh …« Er runzelte die Stirn. Die Anstrengung des Denkens machte ihm offensichtlich zu schaffen und seine Rede verebbte.
    »Wie heißen Sie?«, fragte ich.
    »Kurt«, antwortete er. »Kurt Wagner. Und Sie?«
    »Dexter«, sagte ich. »Warten Sie einen Moment hier, Kurt.« Ich eilte zu Deborah hinüber, ehe sich die verzweifelten Denkversuche als zu große Belastung für den armen Jungen herausstellen konnten.
    »Deborah«, sagte ich. »Ich glaube, wir haben einen kleinen Durchbruch erzielt.«
    »Schön, deine verdammten Brennöfen sind es nämlich nicht«, blaffte sie. »Sie sind zu klein für eine Leiche.«
    »Stimmt«, sagte ich. »Aber dem jungen Mann dort drüben fehlt eine Freundin.«
    Ihr Kopf fuhr hoch, und sie schoss nach oben, stand beinahe auf ihren Zehenspitzen wie ein Jagdhund. Sie starrte hinüber zu Jessicas Irgendwie-Freund, der den Blick erwiderte und dabei von einem Fuß auf den anderen trat. »Wurde auch verdammt noch mal Zeit«, sagte sie und lief hinüber.
    Ich sah Angel an. Er zuckte die Achseln und stand auf. Einen Moment lang wirkte es, als wollte er etwas sagen. Aber dann schüttelte er den Kopf, wischte sich die Hände ab und folgte Deborah, um sich anzuhören, was Kurt zu sagen hatte, und ließ mich wirklich und wahrhaftig einfach mit meinen düsteren Gedanken allein.
     
    Reine Beobachtung; manchmal reichte das vollkommen. Selbstverständlich in der sicheren Gewissheit, dass der Beobachtung unvermeidlich die wogende Hitze und der glorreiche Strom von Blut folgten, der überwältigende Puls der Emotionen, die aus den Opfern pochten, die anschwellende Musik befohlenen Wahnsinns, während der Geopferte in den wunderbaren Tod flüchtete … All dies würde geschehen. Im Moment reichte es dem Beschatter, zu überwachen, durchdrungen vom köstlichen Gefühl anonymer, ultimativer Macht. Er konnte das Unbehagen des Anderen spüren. Das Unbehagen würde wachsen, die musikalische Bandbreite über Furcht zu Panik und am Ende zu ausgewachsenem Grauen durchlaufen. Alles zu seiner Zeit.
    Der Beschatter sah zu, wie der Andere die Menge musterte, verzweifelt auf der Suche nach einem Hinweis auf die Quelle des aufkeimenden Gefühls von Gefahr, das an seinen Sinnen kratzte. Natürlich würde er nichts entdecken. Noch nicht. Nicht, ehe
er
beschlossen hatte, dass die Zeit gekommen war. Nicht, ehe
er
den Anderen in dumpfe, blindwütige Panik versetzt hatte. Erst dann würde er die Beschattung einstellen und den letzten Akt beginnen lassen.
    Und bis dahin – es war an der Zeit, dass der Andere begann, die Musik der Angst zu vernehmen.

[home]
    11
    S ie hieß Jessica Ortega. Sie war im ersten Semester und lebte in einer der nahe gelegenen Studentenresidenzen. Kurt nannte uns die Nummer ihres Zimmers, und Deborah befahl Angel, an den Brennöfen zu warten, bis eine Streife eintraf, um ihn abzulösen.
    Ich habe nie begriffen, warum man sie Residenz statt Wohnheim nennt. Vielleicht liegt es daran, dass sie heutzutage Hotels sehr ähneln. Hier gab es keine efeuüberwucherten Mauern, die die geheiligten Hallen schmückten, im Foyer fanden sich jede Menge Glas und Topfpflanzen, und die mit Teppich ausgelegten Flure wirkten sauber und frisch renoviert.
    Vor der Tür zu Jessicas Zimmer blieben wir stehen. Auf einer kleinen, hübschen, in Augenhöhe befestigten Karte stand ARIEL GOLDMAN & JESSICA ORTEGA . Und in kleinerer Schrift darunter: EINTRITT NUR MIT ALKOHOLISCHEN GETRÄNKEN . Jemand hatte »Eintritt« unterstrichen und darunter geschrieben: »Was du nicht sagst …«
    Deborah sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. »Partymäuse«, sagte sie.
    »Muss es ja geben«, meinte ich.
    Sie schnaubte und klopfte an die Tür. Nichts. Deborah wartete volle drei Sekunden, ehe sie erneut klopfte, wesentlich lauter.
    Ich hörte, wie sich hinter mir eine Tür öffnete, und als ich mich umdrehte, sah ich eine gertenschlanke junge Frau mit kurzen blonden Haaren und Brille, die uns betrachtete. »Die sind nicht da«, bemerkte sie, mit unverhohlener Missbilligung. »Schon seit ein paar Tagen. Das erste Mal, dass ich dieses Semester meine Ruhe habe.«
    »Wissen Sie, wo sie sind?«, fragte Deborah.
    Die junge Frau verdrehte die Augen. »Irgendwo wird

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