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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Jerry«, fasste Deborah zusammen. »Zu so einem hübschen Mädchen?«
    »Da hat sie gesagt«, fuhr er fort, »sie würde so oder so eine Eins bekommen. Und dann hat sie sich die Bluse zerrissen und angefangen zu schreien.« Er schluckte, sah aber nicht auf.
    »Weiter«, ermunterte ihn Deborah.
    »Und dann winkte sie mir zu«, er hob die Hand und winkte, »und dann rannte sie in den Flur.« Endlich hob er den Blick. »Ich soll dieses Jahr eine Festanstellung bekommen. Wenn sich so etwas herumspricht, ist meine Karriere ruiniert.«
    »Ich verstehe«, sagte Deborah sehr verständnisvoll. »Deshalb haben Sie sie getötet, um Ihre Karriere zu retten.«
    »Was? Nein!«, protestierte er, und es klang fast bockig, als hätten wir ihn beschuldigt, das letzte Plätzchen genommen zu haben. Deborah starrte ihn einfach an, und er erwiderte das Starren, ließ seinen Blick von ihr zu mir und wieder zurück schweifen. »Ich war es nicht«, beharrte er.
    »Ich würde Ihnen gern glauben, Jerry«, sagte Deborah. »Aber das liegt nicht mehr an mir.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ich muss Sie bitten, uns zu begleiten.«
    »Sie verhaften mich?«
    »Ich nehme Sie mit aufs Revier, wo wir Ihnen einige Fragen stellen wollen, das ist alles«, antwortete sie beruhigend.
    »O mein Gott«, jammerte er. »Sie verhaften mich. Das ist … nein. Nein.«
    »Sie wollen es uns doch nicht schwermachen, Professor?«, fragte Deborah. »Wir brauchen doch keine Handschellen, oder?«
    Er sah sie einen langen Moment an, dann sprang er plötzlich auf und rannte zur Tür. Doch zum Unglück für ihn und seinen großartigen Fluchtplan führte sein Weg an mir vorüber, und Dexter wird allgemein und zu Recht für seine blitzartigen Reflexe gerühmt. Ich stellte dem Professor ein Bein, und er knallte auf sein Gesicht und schlitterte mit dem Kopf voran gegen die Tür.
    »Au«, sagte er.
    Ich lächelte Deborah an. »Ich glaube, du brauchst doch Handschellen.«

[home]
    13
    E igentlich bin ich nicht paranoid. Ich glaube nicht, dass ich von geheimnisvollen Feinden umzingelt bin, die mich in eine Falle locken, mich foltern oder umbringen wollen. Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass, sollte ich Risse in meiner Tarnung zulassen, die gesamte Gesellschaft vereint nach meinem langsamen und schmerzhaften Tod verlangen wird, doch das ist keine Paranoia – das ist die gelassene, scharfsichtige Anerkennung der Realität, und sie flößt mir keine Furcht ein. Ich versuche einfach, umsichtig zu sein, damit sie nicht eintritt.
    Aber ein großer Teil meiner Umsicht hatte stets auf den subtilen Einflüsterungen des Dunklen Passagiers beruht. Und der war nach wie vor seltsam zurückhaltend, seine Gedanken zu teilen.
    Und so stand ich einer befremdlichen und beunruhigenden inneren Stille gegenüber, die kleine Wellen des Unbehagens aussandte, und das machte mich äußerst kribbelig. Dieses Gefühl, beobachtet, ja sogar beschattet zu werden, hatte bei den Brennöfen eingesetzt. Und auf dem Weg zurück ins Hauptquartier konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass uns ein Auto folgte. Tat es das wirklich? Hegte es finstere Absichten? Und falls ja, betrafen diese mich oder Deborah, oder war es einfach einer von Miamis durchgedrehten Fahrern?
    Ich beobachtete das Auto, einen weißen Toyota Avalon, im Rückspiegel. Es blieb die ganze Strecke hinter uns, bis Deborah auf den Parkplatz abbog, und dann fuhr es einfach weiter, ohne langsamer zu werden und ohne dass der Fahrer zu starren schien. Dennoch konnte ich das lächerliche Gefühl, dass es uns tatsächlich gefolgt war, einfach nicht abschütteln. Doch durfte ich nicht sicher sein, bis der Passagier es mir bestätigte, was er nicht tat – er gab nur ein zischendes Räuspern von sich, und deshalb schien es mir außerordentlich dumm, Deborah etwas davon zu sagen.
    Und doch, als ich später aus dem Gebäude trat und zu meinem Auto ging, überkam mich erneut dasselbe Gefühl, von jemandem oder etwas beobachtet zu werden – aber es war ein
Gefühl
. Keine Warnung, kein inneres Wispern aus den Schatten, kein vorbereitendes Schlagen unsichtbarer schwarzer Schwingen – ein
Gefühl
. Und das machte mich nervös. Wenn der Passagier spricht, höre ich zu. Ich agiere. Aber jetzt sprach er nicht, er zuckte bloß, und ich hatte keine Ahnung, was ich mit dieser Botschaft anfangen sollte. Deshalb behielt ich auf dem Heimweg in Ermangelung besserer Ideen den Rückspiegel im Auge.
    War es so, wenn man ein Mensch war? Ging man

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