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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Angst zurückgelassen.
    An meiner Scheibe ertönte ein Klopfen, und ich stieß mir den Kopf an der Decke des Wagens.
    Ich drehte mich um. Ein Mann mittleren Alters mit Schnäuzer und schlimmen Aknenarben schaute vornübergebeugt zu mir herein. Ich hatte ihn bis jetzt nicht bemerkt, ein weiterer Beweis, wie einsam und schutzlos ich war.
    Ich kurbelte die Scheibe hinunter. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, erkundigte sich der Mann.
    »Nein, danke«, versicherte ich, während ich rätselte, welche Hilfe er mir wohl angedeihen lassen wollte. Doch er ließ mich nicht lange im Unklaren. »Sie stehen auf meiner Einfahrt«, stellte er fest.
    »Oh«, machte ich, während mir dämmerte, dass das vermutlich stimmte und ich mir irgendeine Erklärung einfallen lassen sollte. »Ich suche Vinny«, sagte ich. Nicht brillant, aber angesichts der Umstände brauchbar.
    »Sie sind an der falschen Adresse«, erwiderte der Mann mit einem gewissen fiesen Triumph, der mich beinahe wieder aufheiterte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. Ich kurbelte die Scheibe hoch und setzte rückwärts aus der Einfahrt. Der Mann blieb stehen und beobachtete mich, vermutlich um sich zu vergewissern, dass ich nicht plötzlich heraussprang und ihn mit einer Machete attackierte. Innerhalb weniger Augenblicke befand ich mich wieder im blutrünstigen Chaos der U. S. 1. Und während mich die routinierte Brutalität des Verkehrs wie eine warme Decke umhüllte, spürte ich, wie ich allmählich zu mir selbst fand. Wieder daheim, hinter den zerfallenden Mauern von Burg Dexter, einschließlich leerer Keller und allem Drum und Dran.
    Ich war mir noch nie so blöd vorgekommen – was bedeutet, dass ich mich in diesem Moment so menschlich fühlte, wie es mir möglich war. Was um alles in der Welt hatte ich mir gedacht? Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt nicht gedacht, sondern bloß auf eine bizarre Panikattacke reagiert. Es war zu lächerlich; zu offensichtlich menschlich und lachhaft, wenn ich denn nur ein echter Mensch gewesen wäre, der richtig lachen konnte. Ach, nun gut. Wenigstens war ich echt lächerlich.
    Während der letzten Meilen der Fahrt dachte ich mir beleidigende Bezeichnungen für meine ängstliche Überreaktion aus, und als ich auf die Einfahrt von Ritas Haus abbog, badete ich in Selbstbeschimpfungen, wodurch ich mich viel besser fühlte. Ich stieg aus dem Auto, etwas im Gesicht, das fast ein echtes Lächeln war, erzeugt von der Freude an den wahren Tiefen von Dummkopf Dexter. Ich hatte mich gerade einen Schritt vom Auto in Richtung Haustür bewegt, als ein Wagen langsam vorbeifuhr.
    Natürlich ein weißer Avalon.
    Wenn es Gerechtigkeit auf der Welt gibt, dann war dies einer der Momente, die sie nur für mich arrangiert hatte. Denn ich hatte mich schon viele Male am Anblick einer Person erfreut, die mit herabhängendem Kiefer dastand, von Überraschung und Angst vollkommen paralysiert, und jetzt stand Dexter hier in genau derselben dümmlichen Haltung. Erstarrt, unfähig, mich zu bewegen oder mir auch nur den Speichel abzuwischen, beobachtete ich, wie der Wagen langsam vorbeifuhr, und mein einziger Gedanke war, dass ich sehr, sehr blöd wirken musste.
    Selbstverständlich hätte ich noch wesentlich blöder ausgesehen, wenn, wer auch immer in dem weißen Auto saß mehr getan hätte, als langsam vorbeizufahren. Doch zum Glück für die Personen, die mich kennen und lieben – zumindest zwei, wenn ich mich dazuzählte –, glitt der Wagen ohne Unterbrechung vorüber. Einen Augenblick dachte ich, ich könnte ein Gesicht erkennen, das mich vom Fahrersitz anblickte. Doch dann gab er Gas, fuhr ein wenig zur Straßenmitte, so dass das Licht einen Moment auf dem silbernen Stieremblem des Toyota glitzerte, und dann war der Wagen fort.
    Und mir fiel absolut nichts Besseres mehr ein, als endlich den Mund zu schließen, mich am Kopf zu kratzen und ins Haus zu wanken.
     
    Ein leises, aber sehr tiefes und äußerst machtvolles Trommeln und Freude schoss empor, geboren aus Erleichterung und in Erwartung dessen, was folgen sollte. Und dann erklangen die Hörner, und jetzt war es sehr nah, nur eine Sache weniger Augenblicke, bis es kam, und dann würde alles beginnen und am Ende wieder geschehen, und als sich die Freude zu einer Melodie steigerte, die von überall her zu dringen schien, spürte ich, wie mich meine Füße auf die Stimmen zutrugen, die mir Seligkeit versprachen, alles mit der Freude erfüllten, die auf dem Weg war, dieser

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