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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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zu einer noch besorgniserregenderen Spekulation: Was war der Passagier und warum war er überhaupt zu mir gekommen?
    Festzustellen, wie ausschließlich ich mich über etwas definiert hatte, das nicht eigentlich ich war – oder war es das doch? –, war ausgesprochen ernüchternd. Möglicherweise war der Dunkle Passagier nichts weiter als das kranke Konstrukt eines geschädigten Verstands, ein Netz, gesponnen, um winzige Funken einer gefilterten Realität aufzufangen und mich vor der schrecklichen Wahrheit zu schützen, was ich wirklich war. Möglich. Ich bin basispsychologisch durchaus bewandert, und ich hegte schon seit einiger Zeit den Verdacht, dass ich irgendwie nicht ins Raster passte. Das geht schon in Ordnung, ich komme auch ohne einen Fetzen normaler Menschlichkeit auf meinem Konto sehr gut zurecht.
    Jedenfalls bis jetzt. Doch plötzlich war ich ganz allein da drin, und die Dinge schienen nicht mehr so klar umrissen. Und zum ersten Mal musste ich es dringend wissen.
    Selbstverständlich bieten nur wenige Arbeitgeber bezahlten Urlaub zum Zwecke der Selbstbeobachtung, auch nicht bei einem so wichtigen Thema wie dem Verschwinden Dunkler Passagiere. Nein, dieses Päckchen musste Dexter tragen. Mit einer peitschenknallenden Deborah als Zugabe.
    Glücklicherweise handelte es sich größtenteils um Routine. Ich verbrachte den Vormittag mit meinen lieben Kollegen, mit denen ich Halperns Appartement nach konkreten Beweisen seiner Schuld durchkämmte. Noch weitaus glücklicher war der Umstand, dass nur wenig Arbeit nötig war, da die Beweise so zahlreich herumlagen.
    Hinten in seinem Schrank fanden wir eine Socke mit mehreren Blutspritzern. Unter der Couch lag ein weißer Leinenschuh mit einem dazu passenden Fleck auf der Kappe. In einer Plastiktüte im Bad fand sich eine Hose mit versengten Aufschlägen und noch mehr Blut, kleine versprühte Punkte, die die Hitze gehärtet hatte.
    Vermutlich war es gut, dass so vieles offen herumlag, denn Dexter war heute wahrhaftig nicht sein übliches aufgewecktes und eifriges Selbst. Ich erwischte mich dabei, wie ich in einem beklemmenden grauen Nebel dahintrieb und mich fragte, ob der Passagier nach Hause zurückkehren würde, um dann ruckartig in die Gegenwart zurückzukehren, wo ich im Schrank stand und eine schmutzige, blutverschmierte Socke in der Hand hielt. Ich bin nicht sicher, ob ich bei einer echten Untersuchung meinem üblichen hohen Niveau gerecht geworden wäre.
    Zum Glück war das nicht notwendig. Ich hatte nie zuvor einen solchen Strom eindeutiger und offensichtlicher Beweise bei jemandem gefunden, der immerhin mehrere Tage Zeit zum Aufräumen gehabt hatte. Wann immer ich meinem eigenen kleinen Hobby fröne, bin ich ordentlich und sauber und innerhalb weniger Minuten spurentechnisch gesehen unschuldig; Halpern hatte mehrere Tage verstreichen lassen, ohne auch nur die elementarsten Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Es war fast zu einfach. Als wir sein Auto untersuchten, ließ ich das »fast« fallen. Direkt oben auf der Armlehne zwischen den Vordersitzen saß ein Daumenabdruck aus getrocknetem Blut.
    Selbstverständlich bestand die Möglichkeit, dass unser Labor feststellte, dass es sich um Hühnerblut handelte, und Halpern einfach einem unschuldigen Vergnügen nachgegangen war, vielleicht als Amateur-Geflügelschlachter. Irgendwie bezweifelte ich das. Es schien überwältigend eindeutig, dass Halpern jemandem etwas entschieden Unfreundliches angetan hatte.
    Und doch nagte dieser leise Zweifel an mir: Alles war viel zu einfach. Hier stimmte etwas nicht. Aber da ich keinen Passagier hatte, der mir die richtige Richtung wies, behielt ich es für mich. Zudem wäre es grausam gewesen, Deborahs Freudenballon platzen zu lassen. Sie glühte beinahe vor Befriedigung, als die Ergebnisse eintrafen und Halpern mehr und mehr wie der irre Fang des Tages aussah.
    Deborah summte geradezu, als sie mich mit zu Halperns Vernehmung schleifte, was mein Unbehagen massiv verstärkte. Ich beobachtete sie, als wir den Raum betraten, in dem Halpern uns erwartete. Ich konnte mich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal so glücklich gewirkt hatte. Sie hatte sogar vergessen, ihre Miene ständiger Missbilligung aufzusetzen. Es war äußerst beunruhigend, ein absoluter Verstoß gegen die Naturgesetze, als ob plötzlich alle beschlössen, auf der I-95 langsam und vorsichtig zu fahren.
    »Nun, Jerry«, grüßte sie aufgeräumt, während wir auf den Stühlen gegenüber Halpern Platz nahmen.

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