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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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lockerte die Schlinge ein wenig und lauschte seinem Kampf um einen Atemzug. Nur einen – dann zog ich sie wieder zu und zerrte ihn auf die Beine. »Komm«, sagte ich, und er kam.
    Ich stand hinter ihm, hielt den Druck auf die Schlinge gerade weit genug aufrecht, dass er ein bisschen atmen konnte, wenn er sich wirklich anstrengte, und führte ihn den Flur entlang zur Rückseite des Hauses und in die Garage. Als ich ihn zur Werkbank stieß, fiel er auf ein Knie, entweder ein Stolpern oder ein närrischer Fluchtversuch. So oder so war ich nicht in der Stimmung dazu und riss so hart an der Schnur, dass seine Augen hervortraten, und sah zu, wie sein Gesicht dunkel anlief und er bewusstlos zu Boden sackte.
    Viel einfacher. Ich stemmte sein totes Gewicht auf die Werkbank und schnürte ihn mit Paketband fest, während er mit offenem Mund in Bewusstlosigkeit schwelgte. Aus seinem Mundwinkel rann ein dünner Speichelfaden, und sein Atem ging keuchend, selbst nachdem ich die Schlinge gelockert hatte. Ich sah auf Starzak hinunter, an den Tisch gefesselt, das wenig anziehende Gesicht schlaff und konturenlos, und dachte zum ersten Mal: Das ist es, was wir alle sind. Das ist es in aller Kürze. Ein Sack Fleisch, der atmet, und wenn das aufhört, nichts außer verwesendem Abfall.
    Starzak begann zu husten, und mehr Speichel rann aus seinem Mund. Er bäumte sich gegen das Paketband, stellte fest, dass er sich nicht rühren konnte, und öffnete flatternd die Augen. Er sagte etwas Unverständliches, aus viel zu vielen Konsonanten zusammengesetzt, und dann verdrehte er seine Augen nach oben und entdeckte mich. Selbstverständlich war mein Gesicht hinter der Maske nicht zu erkennen, doch überkam mich das äußerst beunruhigende Gefühl, dass er mich trotzdem erkannte. Er bewegte ein paarmal die Lippen, sagte aber nichts, bis er schließlich seine Augen wieder in Richtung seiner Füße drehte und mit trockener rauher Stimme in einem mitteleuropäischen Akzent, doch ohne die zu erwartende Emotion darin, sagte: »Du machst einen sehr großen Fehler.«
    Ich suchte nach einer automatischen, unheilvollen Antwort und fand nichts.
    »Du wirst es erleben«, sagte er mit dieser schrecklichen tonlosen, rauhen Stimme. »Er wird dich so oder so kriegen, auch ohne mich. Für dich ist es zu spät.«
    Und da war es. Einem Geständnis, dass er mich in böser Absicht verfolgt hatte, so nah, wie ich es brauchte. Doch alles, was mir einfiel, war die Frage: »Wer ist er?«
    Er vergaß, dass er an die Bank gefesselt war, und versuchte den Kopf zu schütteln. Es funktionierte nicht, aber auch das schien ihn nicht großartig zu stören. »Sie werden dich finden«, wiederholte er. »Schon bald.« Er zuckte ein wenig, als versuchte er, mit der Hand zu winken, und sagte: »Mach weiter. Töte mich jetzt. Sie werden dich finden.«
    Ich starrte auf ihn hinunter, so wehrlos an die Bank gefesselt, bereit für meine besondere Aufmerksamkeit, und angesichts der Aufgabe, die vor mir lag, hätte mich eiskaltes Entzücken erfüllen müssen – doch da war nichts. Mich erfüllte nichts außer Leere, dasselbe Gefühl hoffnungsloser Sinnlosigkeit, das mich überfallen hatte, als ich draußen vor dem Haus wartete.
    Ich schüttelte meinen Bammel ab und klebte Starzaks Mund zu. Er zuckte ein wenig, doch abgesehen davon wandte er konsequent den Blick ab, zeigte nicht das geringste Gefühl.
    Ich zückte das Messer und sah hinab auf meine unbewegliche und unbewegte Beute. Ich konnte noch immer diesen furchtbaren feuchten Atem hören, der durch seine Nasenlöcher rasselte, und ich wollte ihn anhalten, ihm das Licht auslöschen, dieses widerliche Ding abschalten, es in Stücke schneiden und sie in sauberen, trockenen Müllbeuteln versiegeln, reglose Stücke Kompost, die nicht länger bedrohlich waren, nicht länger aßen und defäkierten und im wirren Labyrinth menschlichen Lebens um sich schlugen …
    Und ich konnte nicht.
    Schweigend rief ich nach dem vertrauten Rauschen dunkler Schwingen, die aus mir hervorbrachen, mein Messer im bösartigen Glanz seines brutalen Zwecks erstrahlen ließen, und nichts passierte. Nichts in mir regte sich bei der Vorstellung, diese scharfen und notwendigen Dinge zu tun, die ich so fröhlich so viele Male zuvor getan hatte. Das Einzige, was in mir schwoll, war Leere.
    Ich senkte das Messer, drehte mich um und ging hinaus in die Nacht.

[home]
    24
    I rgendwie quälte ich mich am nächsten Tag trotz des nagenden Gefühls dumpfer Verzweiflung, das in

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