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Komm

Titel: Komm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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kriegst!
     
    Er löscht den Satz. Schreibt stattdessen:
     
    Was tut die Kunst? Mit uns? Für uns? Tut sie überhaupt etwas? Muss sie etwas tun?
     
    Und fährt mit einer Antwort fort, die, wie er nur allzu gut weiß, nichts Halbes und nichts Ganzes ist:
     
    Wir brauchen die Kunst, um uns daran zu erinnern, was es heißt, ein Mensch zu sein. Um uns eine Perspektive zu geben.
     
    »Es waren dreiundzwanzig«, hatte Petra Vinter gesagt. »Der Weg war dunkel, es war ein kleiner, schmaler Weg mit schmalen Reihenhäusern auf der einen Seite und einer afrikanischen Baustelle auf der andern. Meine Freundin fuhr wenige Minuten vor mir weg, zwei, höchstens drei. Ich musste nur noch den letzten Koffer holen und die Tür abschließen. Ich hatte ihr das Funkgerät gegeben, weil sie dort allein schlafen musste. Sie umzingelten mich am Auto. Es gab ein seltsames dumpfes Geräusch, als sie meinen Wächter tottraten.«
    Der Regen, der an die Scheibe trommelt. Der Portwein, der vom Armagnac abgelöst wurde. Die graue Feuersglut, mit der ein Geruch nach alter Farbe aufflammt, von dem Holz, das der Barkeeper aufgelegt haben muss.
    An die Geckos erinnert er sich zuerst, an lackierte Holzböden und Geckos an der Decke.
    »Mit Geckos kann man rechnen«, sagte sie. »Wenn drei an der Decke krabbeln und zwei an der rechten Wand, wie viele sind das im Ganzen, wenn an der linken Wand einer ist und wir diejenigen, die wir an der Decke sehen, verdoppeln?«
    Der Barkeeper kam und ging wieder.
     
    Warum hat er ihr Manuskript nie zu lesen bekommen?
    Er weiß schon, er hat nicht darum gebeten. Er sieht sich nur die Sachen an, die problematisch sind, oder das, was er ausdrücklich zu lesen wünscht. Heutzutage liest er nicht mehr viel. Von dem, was sie veröffentlichen. Auch nicht von dem, was die anderen veröffentlichen.
    Aber ihre Gedichtbände müssen doch da sein?
     
    Er steht wieder auf und geht zu dem Bücherregal an der hinteren Wand. Der Boden unter dem Auslegeteppich knirscht. Es ist kein Knirschen der Zeit, die vergangen ist. Es ist das Knirschen getrockneten Betons und zusammengepresster Späne. Einer plötzlichen Eingebung folgend, zieht er Schuhe und Socken aus. Es hilft nichts.
    »Es ist nicht wahr«, wie Lula sagen würde.
    Was würde Petra Vinter sagen?
    Er sieht sich im Büro um. Fast überall stehen Bücherregale. Zwischen den Fenstern ist die Mauer nackt. Die Backsteine sind freigelegt und weiß gekalkt, wie die Architekten es in diesen Jahren wollen. Er legt beide Hände mit der Handfläche auf die Backsteine, atmet tief ein. Lässt dann die Linke auf und nieder gleiten, merkt, dass die rauhe Wand ihm leicht die Haut aufritzt.
    Er lässt die Hand schneller rutschen.
    Wendet sie und reibt drauflos.

XX
    W ie die Musik kann die Literatur uns aus unseren täglichen Strukturen herausziehen und zu unserer eigentlichen Menschlichkeit zurückbringen. Dem Gefühl davon, was es heißt zu existieren. Der Essenz des Seins.
     
    Er schiebt die Tastatur von sich weg, läuft ins Badezimmer und holt ein Pflaster, das er sich auf den blutenden Knöchel klebt. Zwei andere Knöchel sind ganz rot, aber sie bluten nicht, die lässt er, wie sie sind.
    Er wird von seinem eigenen Spiegelbild über dem Waschbecken gefangen genommen. Irgendetwas an ihm hat sich verändert. Er kann nicht sagen, was, aber ihm ist deshalb unbehaglich zumute. Er ist ein starker Mann, charakterstark, was immer zu sehen ist: an seinem kräftigen, zurückgekämmten Haar, an seinen etwas korpulenten, aber noch immer scharfen Zügen, an seinem klaren blauen, er weiß, manche sagen: seinem unbarmherzigen Blick.
    Er geht zum Schreibtisch zurück und wischt mit einer Serviette die Blutflecke von dem grünen Leder. Geht hinaus und sieht noch einmal in den Spiegel.
    Sein Blick hat sich verändert. Als wäre ein Filter weggenommen worden und er sähe unmittelbar in sich hinein. Er betrachtet sich mit Petra Vinters Blick, dreht sich dann jäh um und geht mit festen Schritten in sein Büro zurück.
     
    Er zieht Strümpfe und Schuhe an, bindet sorgfältig die Schnürsenkel. Rollt seine Ärmel hinunter und schließt die Manschettenknöpfe.
     
    Die Kunst, die das vermag, kann nicht ethisch an sich sein , fährt er fort. Denn das wäre Eitelkeit, und es ist eben die Eitelkeit, die den Abgrund in uns entstehen lässt, den Wunsch zu …
     
    Er hat viele Frauen gekannt. Schöne Frauen. Gut gekannt. So ist das Leben. Seine Frau ist Politikerin. Lulas Haut war weich wie der Bauch eines

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