Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
Achselhöhlen lief.
»Als Wertbrief, natürlich.«
Natürlich! Bingo!
Es war so, wie er von Anfang an vermutet hatte. Es gab überhaupt keine Reisenden, die Rubbellose austauschten! Der Mann von der Tankstelle in Landskrona hatte gerade den Platz des Hauptverdächtigen eingenommen. Wer war er nur?
Hill hatte dem jungen Mann gedankt, der es schade fand, dass er schon wieder gehen wollte. Vielleicht könne er ihm ja ein andermal mehr von seiner spannenden Arbeit im Zeitungskiosk berichten? Dort sei immer eine Menge los, und er könne dem Kommissar jederzeit das eine oder andere erzählen!
Hill hatte höflich gemeint, das klinge wirklich hochinteressant, er habe nur gerade überhaupt keine Zeit. Und das war auch gar nicht gelogen, denn jetzt saß er bereits solange in seinem Dienstzimmer, dachte nach und schlussfolgerte, dass ihm alle Gedanken stehen zu bleiben drohten, und trotzdem war er nicht sonderlich weit gekommen.
Und dann war da noch dieses merkwürdige kleine Kästchen, das er zusammen mit Susanna in Anderssons Wohnung gefunden hatte.
Als Punkt Nr. 3 notierte er, dass er kontrollieren musste, ob ein solcher Gegenstand auch im Landskronafall aufgetaucht war, und dass er so bald wie möglich damit nach Lund fahren musste, um die Untersuchung durchführen zu lassen, zu der es wegen Holmgrens Anruf nicht gekommen war.
Aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem deutlichsten Thema zurück und wollten es nicht loslassen. Geld. Rubbellose. Geld gab Lose. Lose gaben Geld.
Hill spielte dieses Modell eine Weile durch.
Jetzt wusste er, dass er auf der richtigen Spur war. Er ahnte den ersehnten Pfeil bereits, der ihm den Weg weisen würde. Er meinte ihn sogar an der Wand gegenüber dem Schreibtisch zu sehen.
Joe Hill folgte ihm – und ging nach Hause. Er musste wirklich versuchen, etwas mehr Schlaf zu bekommen, und er wusste bereits, dass auch der morgige Tag wieder lang werden würde.
Normalerweise ließ Hill seinen Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Präsidium stehen. Dort war er relativ sicher, und außerdem musste er dann nicht um einen der wenigen Stellplätze in seiner Straße kämpfen.
Es gab nur wenige Tage, an denen Hill es nicht vorzog, das kurze steile Stück durch Bergaliden und weiter Richtung Rektorsgatan zu Fuß zu gehen, denn frische Luft und Bewegung waren nützlich, auch wenn man nur noch nach Hause und sich ins Bett legen wollte.
Dieser Abend war da keine Ausnahme, und Hill holte dankbar in der feuchten Nachtluft tief Atem, als er die Anhöhe hinaufging. Hoffentlich würde der Sauerstoff dafür sorgen, dass er gut schlief und etwas Angenehmes träumte oder im besten Fall überhaupt nichts.
Rechts von ihm lag das Lazarett. Die Notaufnahme befand sich jedoch auf der anderen Seite. Alles wirkte an diesem Abend friedlich und harmonisch. In der anderen Richtung ragte der Festungsturm Kärnan in den mondhellen Nachthimmel. Hill schlug der verführerische erste Frühlingsduft aus dem Slottshagen entgegen. Aber er ließ sich nicht verleiten, durch den Park zu gehen, sondern eilte entschlossen direkt auf seinen Bau zu. Um sehr viel mehr als das handelte es sich nämlich nicht. Hill war schließlich mit seiner Arbeit verheiratet. Er hatte also kein Geld und keine Mühe darauf verschwendet, seiner Wohnung einen persönlichen Stempel aufzudrücken. Meist war er zu müde, als dass ihn das weiter gekümmert hätte – wie heute Abend.
Einen Fernseher mit einem großen Bildschirm hatte er sich allerdings gegönnt und ein außerordentlich bequemes Bett. Aber davon abgesehen, das musste er einsehen, als er seine Wohnungstür hinter sich schloss, unterschied sich sein Lebensstil nicht viel von dem eines Sten Andersson.
Aber einen Unterschied gab es, überlegte Hill, während er sich vor dem Badezimmerspiegel die Zähne mit einer Zahnpasta putzte, die sämtliche Flecken zu entfernen versprach, die der Automatenkaffee ärgerlicherweise verursachte. Sten Andersson pflegte einen solchen Lebensstil, weil er bereits aufgegeben hatte.
Hill hingegen hoffte, dass es bei ihm noch gar nicht richtig angefangen hatte.
»Meine Güte, wie müde ich sein muss«, sagte er etwas undeutlich zu seinem Spiegelbild und betrachtete mürrisch die Zahnpastaspuren in seinen Mundwinkeln.
Stand er etwa da und ließ sich in eine Depression fallen? Sich mit diesem armen Schwein aus Berga zu vergleichen, als hätten dessen tragische Lebensumstände auch nur das Geringste mit ihm zu tun!
Gewiss, sie waren beide allein
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