Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
auf.
Bereits nach fünfundzwanzig Minuten war Hill wieder auf dem Revier. In dieser Zeit hatte er alles erfahren, was er wissen wollte, und sich außerdem mit einer Bockwurst mit Brot gestärkt.
Die Chance eines sorgenfreien Lebens war allerdings an ihm vorbeigegangen, obwohl einmal jemand bei dem Zeitungskiosk, den er aufgesucht hatte, den Jackpot mit 61 Millionen schwedischen Kronen geknackt hatte!
Aber sonst hatte er fast alles bekommen, was er gewollt hatte: Auskünfte etwas zu essen, eine Abendzeitung und einen kleinen praktischen Nagelknipser.
Da draußen in Lönnarp hatte er sich einen Nagel abgebrochen, dessen scharfe Kante ihn mehr und mehr irritierte. Diese Ungleichmäßigkeit verstärkte in ihm das Gefühl, alles würde ihm allmählich entgleiten. Und da er fand, es reiche, dass ihm im Tankstellen-Mordfall alles entglitt, schnitt er resolut mit dem neu erworbenen Werkzeug die Bruchstelle zu einer gleichmäßigen Rundung.
Wenn es mit seinen Ermittlungen doch nur ebenso leicht gegangen wäre! Einfach die Kanten mit der geeigneten Ermittlungsschere gleichmäßig sauber abschneiden. Das Ganze am Jackett etwas polieren und elegant die Angelegenheit aufgeklärt zu den Akten legen. Aber leider hatte er das deutliche Gefühl, dass es so nicht gehen würde und die Sache eben erst angefangen hatte.
Das Faxgerät ließ einen ärgerlich schrillen Signalton vernehmen. Es war das Fax von Holgren in Landskrona, knapp formuliert wie eine Vermisstenmeldung im Radio.
Der Mann war etwas kleiner als der Durchschnitt, hatte kurzes, etwas gelichtetes aschblondes Haar und grüngraue Augen. Er hatte einen Akzent, wahrscheinlich osteuropäisch. Bauchansatz, aber nicht regelrecht übergewichtig. Kleidung: moosgrüne Baumwolljacke, braune Gabardinehosen und dunkelgraue Eccoschuhe mit schief abgelaufenen Absätzen. Vermutlich normale Schuhgröße. Er hatte eine braune Aktentasche bei sich. Gute Nacht!
»Aha«, sagte Joakim zufrieden. »Er kann also doch. Ausgezeichnet!«
Endlich war für Joe Hill der Zeitpunkt gekommen, Annahmen und Theorien gegeneinander abzuwägen, Schlüsse zu ziehen und zu versuchen, zur Wahrheit vorzudringen.
Aber dazu brauchte er Kaffee, und glücklicherweise stand der Kaffeeautomat auf dem Gang wie immer zu Diensten.
Es war merkwürdig, auf dem Weg dorthin an den nächtlich-leeren Dienstzimmern vorbeizukommen. Die späte Stunde und sein Schlafmangel spielten ihm einen Streich, und er meinte schon die Stimmen der Kollegen aus den Zimmern zu hören. Aber das war nur das Echo in seinem müden Kopf. Schatten vertrauter Klangbilder aus dem stressigen Getriebe des Tages.
Der Kaffeeautomat funktionierte einwandfrei, aber als er verstohlen eine weitere Münze in den Schlitz steckte und den Knopf für ein Gebäckstück mit schneeweißem Zuckerguss drückte, weigerte sich die Klappe aufzugehen. Die Zehnkronenmünze bekam er nicht zurück. Das war Diebstahl, nichts anderes!
Oder – war es vielleicht so, dass es sich um einen Fingerzeig handelte? Ein diskreter Hinweis höherer Mächte, dass es nicht sonderlich nützlich war, so spät am Abend fettige und zuckrige Sattmacher einzuwerfen?
Hill eilte ohne süße Belohnung, aber mit dem heiß begehrten Becher stimulierenden Koffeins in sein Zimmer zurück. So gut es ging versuchte er, nicht auf die Geräusche zu lauschen, von denen er wusste, dass sie nicht zu hören waren.
»Mal sehen, womit wir es hier eigentlich zu tun haben«, murmelte er, als er wieder in den vier Wänden seines Dienstzimmers war. Er legte ein weißes Blatt Papier auf den Schreibtisch und begann mit Hilfe eines blauen Kugelschreibers mit der Aufschrift »Finanzministerium« die Fakten aufzulisten, auf die sie bisher gestoßen waren.
»Mal sehen, erst einmal die Opfer …«
Die Uhr der Gustav Adolfs Kyrka etwas weiter die Straße entlang verkündete für alle Welt und insbesondere für Kommissar Hill, ehe er diesen Gedanken noch formulieren konnte, dass es bereits zehn Uhr abends war.
Draußen auf der Straße war alles ruhig. Das Publikum der Siebenuhrvorstellungen der Kinos war bereits wieder zu Hause, und die Leute aus den Neunuhrvorstellungen würden erst in einer Dreiviertelstunde auf die Straße strömen.
Dann würden die Pizzabäcker in der Södercity noch einmal alle Hände voll zu tun bekommen, und der eine oder andere würde eins aufs Maul kriegen, so war es immer.
Hill legte den Stift beiseite, reckte sich und lehnte seinen schmerzenden Rücken in das weiche
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