Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
stehend. Und gewiss, die Arbeit stand auch bei ihm immer im Mittelpunkt, und das, was allgemein sozialer Umgang genannt wurde, schien in beiden Fällen Mangelware zu sein.
Und da war noch ein weiterer bedeutender Unterschied. Sten Andersson war tot, was man von Joakim Hill noch lange nicht behaupten konnte! Er war todmüde.
Wenn er jetzt nur ein paar Stunden ordentlichen Schlaf bekam, dann würde er schon herausfinden, wer den Tankstellenwart umgebracht hatte und warum. Er würde auch dafür sorgen, dass der Schuldige oder die Schuldigen dafür bezahlten!
Die Depression gewann doch noch die Oberhand. Er spuckte die stark schäumende Zahnpasta ins Waschbecken, fuhr sich mit dem Handtuch durchs Gesicht und fragte sich müde, ob es ihm wirklich gelingen würde, diesen Fall zu lösen.
Vielleicht würden sie ja nie die entscheidende Spur finden, und vielleicht würde es nie einen weiteren Tankstellenmord geben? In diesem Fall würde die Sache allmählich vergessen, archiviert und schließlich abgeschrieben werden.
Dann war Sten Anderssons Tod ebenso sinnlos wie offenbar auch schon sein Leben.
Nein, er durfte einfach nicht weiter über die betrüblichen Seiten des Lebens nachdenken. Davon wurde auch nichts besser!
Rasch fuhr er sich mit dem Kamm durchs Haar, weil ihm das seine geliebte Tante einmal so beigebracht hatte, machte das Licht im Badezimmer aus und fand dann durch die Dunkelheit den Weg ins Schlafzimmer.
Wie immer knallte er mit den Zehen ans Bettgestell, fluchte und ließ sich dann auf die Bettkante sinken.
Dann fand er endlich Kissen und Decke und war eingeschlafen, ehe er noch den Kopf richtig hingelegt hatte.
»Verdammt!«, rief Bernard Valmera und schlug sich verärgert vor die Stirn.
Solche unangenehmen Entdeckungen gefielen ihm nicht. Sie bedeuteten Kopfzerbrechen, Unannehmlichkeiten und unnötige Risiken. Aber es gab sonst keine Möglichkeiten, er hatte keine Wahl. Er hatte darüber Rechenschaft abzulegen.
Mitgefangen, mitgehangen …
Fressen oder gefressen werden, so hieß das Gesetz, und wer glaubte, dass die Welt anders war, eignete sich ganz einfach nicht für das wirkliche Leben.
Verärgert ging er zu Adrian und Stoján hinüber, die jeder in einer Ecke des Sofas vor dem Fernseher lagen. MTV verkündete mit lästig flimmerndem Diskolicht seine simple Botschaft an die Jugend der Welt: Sei in – sei dabei – relax!
Dieses Konzept erreichte über den Äther sogar Empfänger im kleinen schwedischen Eslöv.
Adrian schlief, aber Stoján starrte lüstern auf die sich drehenden, halb nackten jungen Mädchen auf der Mattscheibe, als Bernard einen Stapel Papier vor ihn auf den Couchtisch knallte.
»Hier sind die Kontoauszüge«, teilte er mit.
Stoján betrachtete sie uninteressiert.
»Drei Wochen in einem Luxushotel in Florida.«
»Für uns?«, wollte Stoján wissen, und sein Interesse war geweckt.
»Holzkopf! Die Braut in dem Kiosk, die wir vor zwei Monaten eingeweiht haben. Letzten Montag ist sie zurückgekommen. Neu eingekleidet und mit echtem Schmuck. Ihre Kollegin war sehr neidisch und sehr gesprächig.«
Stoján räkelte sich träge. Bernard war noch nie aufgefallen, was für lange und muskulöse Arme er hatte. Er erkannte die Bestie in ihm und schaute weg.
»Wann?«, fragte Stoján.
Rastlos sah Bernard auf seine Armbanduhr. Es war erst Viertel vor sechs an diesem Montagabend. Sie würden es noch schaffen, wenn sie sich beeilten.
»Jetzt.«
5
Am Dienstagmorgen bekam Joakim Hill endlich Bescheid von der Spurensicherung. Ärgerlicherweise hatte das viel länger gedauert, als er gehofft hatte, und das Resultat war außerdem niederschmetternd. Es war negativ.
Nein, leider, unter den Fingernägeln von Andersson hätten sich keine Reste der Beschichtung von Rubbellosen gefunden.
Die Ballistiker waren auch nicht fertig. Sie wollten sich nicht mal auf eine vorläufige Stellungnahme einlassen.
Das Einzige, was ihm jetzt noch zu tun blieb, war zu versuchen, Ashia Hamawed in Landskrona anzurufen, die Witwe von Rajid. Als sie zu Hause ans Telefon kam, merkte er an ihrer Stimme, dass die Medizin ihre Wirkung getan hatte. Sie klang verdächtig gedämpft und gleichmütig. Wonach er sie auch fragte, sie antwortete immer so, als ginge es nicht um sie. Nicht um sie und ihre Familie und keinesfalls um ihren ermordeten Mann, sondern um irgendwelche Fremden. Weit weg, ganz woanders.
Aber trotzdem sah er sich gezwungen, Fragen zu stellen.
Er fragte nach dem Metallkästchen und beschrieb
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