Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
schlecht gelaunt wie vorher.
»Danke, danke, dass Sie gekommen sind.«
Sie dankte ihm, obwohl eigentlich er das hätte tun müssen. Die kleine Wohnung war ordentlich und gemütlich. Bedeutend weniger orientalisch, als er erwartet hatte, und das galt ebenfalls für die junge Witwe Ashia Hamawed.
Sie war eine schöne Frau. Ihr genaues Alter zu bestimmen war gar nicht so einfach, aber er schätzte sie auf um die fünfundzwanzig. Klein, grazil und mit hoch erhobenem Kopf hieß sie ihn in ihrer kleinen Welt willkommen, ihrer Welt und der ihrer Söhne.
Er begriff nicht, woher sie die Kraft nahm, aber war ihr trotzdem dankbar dafür.
Sie trug ein schlichtes schwarzes Kostüm mit einer weißen Bluse und eine kleine Emailbrosche auf dem Aufschlag. Ihr rabenschwarzes Haar hatte sie zu einer kunstvollen, aber trotzdem modernen Frisur hochgesteckt. Ihre Fingernägel waren makellos und mit gleichmäßigen Pinselstrichen lackiert.
Sie glich mehr der Gattin eines Managers. Ihre gesamte Erscheinung legte von den Hoffnungen Zeugnis ab, die sie sich für die Zukunft gemacht hatten – Hoffnungen, die durch einen infamen Schicksalsschlag zunichte gemacht worden waren.
Er zog die Schuhe aus und ging hinter ihr her ins Wohnzimmer. Die zwei kleinen Jungen versteckten sich hinter einem Sessel. Als er vorbeiging, lugten sie erwartungsvoll hervor, und er lächelte vorsichtig. Sofort wurden sie wieder scheu und versteckten sich erneut hinter der Sessellehne.
Auch dieses Mal war es wieder nicht der Papa.
Er machte sich an dem widerborstigen Schloss seiner Aktentasche zu schaffen und zog schließlich das unansehnliche Instrument hervor, das sich unten in der Tasche zwischen zwei Lederfalten verborgen hatte. Vorsichtig legte er es in ihre ausgestreckte Hand und rief dabei die höheren Mächte an.
»Genau. Genau so eins«, sagte sie.
Sie drehte es vorsichtig um und sah es so erstaunt an, als sei es ein Kätzchen.
»So eins liegt im Büro im Tresor«, behauptete sie.
Aber das tat es nicht, er hatte sicherheitshalber noch einmal bei Svantesson nachgefragt.
Vorsichtig legte sie das Kästchen in seine ausgestreckte Hand zurück. Als würde er ihr einen Gefallen tun, indem er diesen mysteriösen Gegenstand wieder aus ihrem Zuhause entfernte. Als würde einfach nur sein unbekanntes Anwendungsgebiet Gefahr verheißen.
»Danke, Sie waren mir eine große Hilfe«, versicherte er. »Vielen herzlichen Dank.«
Sie nickte, und er sah auf einmal direkt durch ihre Maske, die aufgesetzte Tapferkeit. Jetzt war sie müde und wollte nur noch eins: mit ihren Söhnen zurück in ihre Einsamkeit. Also ging er zur Tür. Mit großen Augen spähten ihm die Jungen hinterher, gaben sich aber größte Mühe, sich dabei nicht sehen zu lassen.
»Ich hoffe …«
Plötzlich wurde er verlegen, wie er da in ihrer Diele stand und in seine Schuhe schlüpfte. Das hatte ihr Mann sicher auch Tausende von Malen getan. Was sollte er sagen? Was gibt es schon zu sagen, wenn jemand alles verloren hat?
»Ich hoffe, dass das wieder in Ordnung kommt. Ich meine, für Sie und die Kinder.«
»Das wird schon!«
Er war erstaunt, dass sie so energisch war, und hatte merkwürdigerweise das Gefühl, dass das keine leeren Worte waren. Er sah das auch in ihrem brennenden Blick, als sie fortfuhr:
»Ich werde die Tankstelle weiterführen. Die gehörte Rajid, aber jetzt gehört sie mir. Und ich werde sie für unsere Söhne verwalten. Eines Tages werden sie sie übernehmen und dort weitermachen, wo er aufgehört hat.«
Er nickte, lächelte und hielt ihr die Hand zu einem traditionell westlichen Abschied hin.
Sie nahm sie, und er spürte Entschlossenheit und eine zähe Stärke in ihrer schmalen kleinen Hand.
»Es gibt nur eine Sache, die ich nicht beenden kann. Jedenfalls nicht jetzt«, bekannte sie, als würde es sie erleichtern, jemandem, egal wem, ihr Herz auszuschütten. »Ich werde Rajids Pläne für den Ausbau der Tankstelle nicht ausführen. Von Anfang an war das ein zu großes Wagnis.«
Hill war bereits durch die Tür, aber schaute jetzt erstaunt zurück. Sein Instinkt sagte ihm, dass dieses kleine Bekenntnis sehr wichtig war, und er merkte sich jedes einzelne Wort.
»Das hätte weit mehr gekostet, als wir je hätten bezahlen können«, sagte sie und machte leise die Tür hinter ihm zu.
Lund glich in vielerlei Hinsicht einer Perlmuschel. Das Gerücht ihrer inneren Schönheit hatte sich weit herumgesprochen, aber der Schatz blieb den Besuchern erst einmal verborgen
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