Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
Polster seines Bürostuhls.
Was hatte er da eigentlich, fragte er sich und sah seine handgeschriebenen Aufzeichnungen noch einmal durch. Was konnte man aus diesem betrüblichen Gekritzel herauslesen und vor allen Dingen: Was stand zwischen den Zeilen?
Er brauchte vermutlich noch mehr Kaffee, wenn er mit dieser Aufgabe fertig werden wollte. Er ging zu einem weiteren Durchgang zurück zum Automaten. Dieses Mal ging er jedoch nicht wieder in die Gebäckfalle.
Er hatte die Umstände der beiden Morde nebeneinander aufgelistet. Jetzt brauchte er nur noch Parallelen zu suchen – oder Diskrepanzen.
Gewisse Dinge waren einfach.
Unbehaglich, aber einfach.
»Mal sehen«, sagte er zu sich selbst, »Rajid wurde durch den Mund erschossen und hatte eine Binde vor Augen. Sten Andersson ebenfalls. Rajid hatte Reste der Beschichtung eines Rubbelloses unter den Fingernägeln. Aber gab es so was auch bei dem anderen?«
Daran konnte er sich nicht erinnern.
Also nahm er ein neues Blatt Papier und notierte sich als Punkt Nr. 1, dass er dem am nächsten Tag sofort nachgehen musste, sobald er Anderberg erreichen konnte. Dann fuhr er in seiner Analyse fort.
»Sten Andersson war der Geschäftsführer der Tankstelle, aber Rajid war der Besitzer. Wo ist hier der gemeinsame Nenner? Eindeutig: die Tankstelle.«
Mit demselben methodischen Fleiß ging er jeden einzelnen Punkt durch, während er mit sich selbst sprach und mit dem kanarienvogelgelben Besuchersessel.
»Die Kugeln.«
Die Ballistiker arbeiteten daran, aber er hatte sich trotzdem als Punkt Nr. 2 notiert, sich so bald wie möglich nach einem vorläufigen Untersuchungsergebnis zu erkundigen. Es bestand nämlich die Möglichkeit – um nicht zu sagen, dass es äußerst wahrscheinlich war-, dass die tödlichen Kugeln aus derselben Waffe abgefeuert worden waren.
»Familie? Nein, da gibt es nicht die geringste Ähnlichkeit«, konstatierte er enttäuscht. »Aber warte … nein. Rajid hatte eine junge Frau. Zwei kleine Söhne, ein glückliches Leben. Sten Andersson hatte … nichts!«
Hill trug den schweigenden Wänden seines Dienstzimmers sein Plädoyer vor. In der verzweifelten Hoffnung, dass aus dem Nichts plötzlich ein leuchtender Pfeil auftauchen würde, erwog er das Für und Wider seiner Argumente.
Ein Pfeil, der in eine ganz bestimmte Richtung weisen würde zwischen allen Missverständnissen und Irrwegen auf die richtige Fährte.
»Sten Andersson hatte nur seinen erwachsenen Sohn, der nicht mehr zu Hause wohnte. Ein Lump. Ein richtig geldgieriger …«
Geld!
Geld – Geld … hier war doch was Ungewöhnliches? So viel Geld, das er seinem Sohn in Idaho im letzten Jahr geschickt hatte. Keine Ersparnisse, kein nennenswertes Vermögen im Nachlass des Toten – wie hatte er da bloß seinen Sohn mit so fürstlichen Summen unterhalten können?
Und das Los in Landskrona war eine weitere solche Anomalie. Teils wegen der mysteriösen Art und Weise, auf die es verschwunden war, denn es hatte am Nachmittag wirklich noch dort gelegen, und teils wegen des Mannes, der behauptet hatte, von der Penninglotteri zu kommen.
Denn solche Männer gab es nicht.
Der anfänglich misstrauische junge Mann in dem Zeitungskiosk war erst aufgetaut, als ihm Hill seinen Dienstausweis gezeigt hatte.
»Spitze! Genau wie im Fernsehen!« Der junge Mann war auf einmal ebenso eifrig gewesen, seine Fragen zu beantworten, wie einer der Teilnehmer der Sendung Jeopardy.
»Wo wir die neuen Rubbellose herkriegen, wenn die alten ausgetauscht werden sollen, meinen Sie?«, wollte er wissen, wie um sich zu versichern, dass er die Frage richtig verstanden hatte.
»Ja?«
Hill hatte so glänzende Augen bekommen wie ein Kind, das auf ein großes Eis wartet.
»Ganz einfach. Wir tauschen die Lose gar nicht aus. Wir verkaufen, bis keine mehr da sind!«, verkündete der Verkäufer mit jugendlicher Begeisterung. »Die gehen weg wie warme Semmeln, und zwar alle. Die einen wollen ein Triss, andere ein A oder ein TIA oder eins von den anderen, aber alle gehen weg. Das ist überhaupt kein Problem!«
»Aber nehmen Sie mal an …«, fing Hill an.
»Bitte?«
»Ja also, stellen Sie sich vor, dass Lose übrig bleiben. Lose, die sich überhaupt nicht verkaufen lassen. Was würden Sie dann machen?«
»Sie zurückschicken natürlich! Auf dieselbe Art, wie sie auch gekommen sind.«
»Und wie kommen sie?«
Hill hatte Mühe, die Ruhe zu bewahren, und er spürte, wie ihm der Schweiß aus den sonst immer knochentrockenen
Weitere Kostenlose Bücher