Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
brauchte noch länger als die Spurensicherung, um den endgültigen Bericht fertig zu stellen. Erst folgende Woche würde der Bericht vorliegen, ließ man Hill wissen.
Die Leiche des ermordeten Tankwarts war nach Lund in die Uniklinik gebracht worden. Aber bekanntlich steckte auch das Gesundheitswesen in einer schweren Krise. Überall wurden Gelder gestrichen, und heutzutage gab es sogar Wartezeiten bei der Leichenschau.
Natürlich würden auch die Ballistiker allmählich etwas beizutragen haben. Aber zu einer Kugel die richtige Waffe zu finden, entsprach buchstäblich der Suche nach der bekannten Nadel im Heuhaufen. Hatte man erst die Mordwaffe unter Verschluss, dann trug die Ballistik Unschätzbares zur Beweisführung bei. Stand man einfach nur mit einer kläglichen Kugel da, dann lieferte diese Wissenschaft nichts anderes als eine interessante Theorie.
Die Wartezeit verbrachte Joakim erfolgreich vor seinem Computer. Alles musste auf Papier festgehalten werden: jeder Gegenstand, den das Opfer bei sich getragen hatte; jede möglicherweise wichtige Uhrzeit und jeder wichtige Kommentar mussten notiert werden, von scharfsinnigen Beobachtungen und Mutmaßungen ganz zu schweigen.
Alles musste in archivierbare Dokumente verwandelt werden.
Sogar die Telefongespräche mit der McGraw University in Idaho, an der der Sohn des Ermordeten in größtem Wohlbefinden studierte.
Es war schon eine Leistung gewesen, den Widerstand der Sekretärin zu brechen, um dann mit dem gestressten Dekan der Universität sprechen zu dürfen.
Die Sekretärin war das Misstrauen in Person; ein Mensch, der von morgens bis abends in einem staubigen Büro mit Mahagonimöbeln nur damit beschäftigt war, den Chef der Hochschule abzuschirmen.
Zuerst glaubte sie nicht, dass Hill der schwedische Polizist war, für den er sich ausgab. Kurz angebunden bestand sie darauf, die Nummer zu kontrollieren, von der aus er anrief. Dann würde sie sich bei ihm melden.
Okay, sollte sie – nur dass das so verdammt lange dauern würde!
Als sie ihn endlich durchgestellt hatte, war es eine Leistung, das eminente Haupt der McGraw University endlich davon abzubringen, über Nebensächlichkeiten zu sprechen.
Wie es denn im Augenblick um Schweden bestellt sei, wollte die joviale Männerstimme gesprächig wissen, und das alles über eine Satellitenverbindung.
Dekan Powell war nämlich einmal in dem unglaublich malerischen Callstad auf einer Konferenz gewesen, er kenne Schweden also pretty well.
Dann fragte er, ob Officer Hill nicht zufällig seine entfernten Verwandten in Dalarna kenne? Sie hießen Dalmas oder so ähnlich. Und warum falle es eigentlich der schwedischen Krone so schwer, sich gegen the US Dollar zu behaupten?
Auf keine seiner Fragen hatte Hill eine brauchbare Antwort.
Schließlich gelang es ihm doch, einen direkten Kontakt zu Peter Andersson, foreign student of Economics an der McGraw University, herzustellen.
Das war eine große Enttäuschung.
»Wann schicken Sie das Geld?«, wollte der junge Mann ohne weitere Umschweife wissen.
»Bitte?«
»Irgendwas muss mir der Alte doch vererbt haben!«
»Möglich … aber so weit sind wir noch nicht. Wir gehen davon aus, dass Sie jetzt erst mal nach Hause kommen und sich um die Beerdigung kümmern.«
»Keinesfalls!«
Hill war fassungslos. Er war in der Nähe von Kalmar als das einzige Kind von zwei Gymnasiallehrern geboren worden. Ein tragischer Autounfall hatte seine Eltern das Leben gekostet, noch ehe er eingeschult worden war. Eine Tante hatte sich fürsorglich und liebevoll um ihn gekümmert. An sie hatte er nur gute Erinnerungen, seit sie ebenfalls vor einigen Jahren gestorben war.
Vielleicht wusste er also nichts über das Verhältnis von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern. Aber … wenn man gerade erfahren hatte, dass der eigene Vater brutal ermordet worden war?
Kurz gesagt mochte er Peter Andersson vom ersten Moment an nicht.
»Ach? Begreifen Sie nicht, dass Ihr Vater …?«
»Das ist mir scheißegal! Er hat nie was für mich getan, der Idiot, nur dass Sie’s wissen! Seit ich mich erinnern kann, hat er sich immer nur um seine verdammte Tankstelle gekümmert.«
»Aber er finanziert Ihnen doch Ihre Studien, oder?«
»Na und? Das ist seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit!«
»Vielleicht musste er ja deshalb so hart arbeiten?«
Peter Andersson schnaubte verächtlich, und Hill wechselte das Thema.
»Fällt Ihnen jemand ein, der uns mit einem Motiv für den Mord weiterhelfen
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