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Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Titel: Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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trat er schwankend und taumelnd den Heimweg an. Die frische, kalte Nachtluft war nicht imstande, ihn zu ernüchtern. Im Gegenteil. Seine Schritte wurden immer unsicherer, je näher er seiner Behausung kam. Mühsam stolperte er auf die graue Mietskaserne zu. Dann riß er plötzlich verwundert die Augen auf. Im Erdgeschoß neben der Haustür brannte Licht.
    Hatte er die Lampe nicht ausgedreht? Oder war Linda schon zurückgekommen? Wartete sie etwa auf ihn? Hatte sie das schändliche Treiben endlich satt bekommen ?
    In trunkenen Selbstgesprächen näherte er sich der Haustür. Er schloß umständlich auf und tappte in den Flur hinein. An seiner Wohnungstür steckte der Schlüssel. Er brauchte ihn nur umzudrehen und einzutreten. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Er sah Linda am Tisch sitzen und in ihrer Handtasche kramen. Ihre Haare schimmerten in unnatürlich hellem Blond. Über der üppigen Brust spannte sich der kostbare Stoff eines neuen Kleides. Die vollen Lippen kräuselten sich spöttisch, als sie die Schritte im Korridor hörte.
    „Komm doch näher!“ rief sie mit dunkler Stimme. „Was stierst du mich so feindselig an? Hätte ich später kommen sollen ?“
    Philip Cantrell schwankte langsam auf sie zu. Eine häßliche Alkoholfahne wehte ihm voraus. In den entzündeten Augen flackerten Haß und Verachtung.
    „Wärst du doch gleich ganz weggeblieben“, keuchte er. „Was willst du noch hier? Warum schläfst du nicht bei deinen Freunden? Oft genug hast du es doch schon getan.“
    Linda Cantrell nahm ihn nicht ernst. Sie lachte nur über sein Gestammel. Lässig reckte und dehnte sie sich auf ihrem Stuhl. Sie wirkte wie eine schläfrige, träge Katze. Philip Cantrell griff grob nach ihren Schultern. „Es könnte mir ja eigentlich gleich sein“, stieß er hervor, „aber du wirst in diesem verdammten Klub vor die Hunde gehen. Sie werden dich dort vollkommen zugrunde richten. Eines Tages wirst du merken, daß du auf das falsche Pferd gewettet hast. Aber dann wird es zu spät sein.“
    Er erwartete wieder ihr spöttisches Lachen zu hören. Aber diesmal blieb sie ernst. Sie wurde nachdenklich und beinahe schwermütig.
    „Was verstehst denn du“, sagte sie leise. „Ich könnte dir etwas anderes erzählen. Kennst du einen gewissen Thomas Cook? Er ist auch Mitglied im Orchideen Klub. Er hat mir erzählt, daß . . .“
    „Was interessiert mich Thomas Cook“, schrie Philip Cantrell verbittert. „Er wird einer von denen sein, die dich für jede Zärtlichkeit bezahlen. Was bekommst du
    denn für die Stunde ? He, wieviel hast du denn heute kassiert ?“
    Er riß ihr die Handtasche aus den Händen, wühlte ein Bündel Banknoten hervor und warf sie ihr ins Gesicht.
    „Das reicht doch“, fuhr er in heiserem Tonfall fort. „Dafür kannst du dich doch in einem Hotel einmieten. Wie glücklich wäre ich, wenn ich dich nicht mehr sehen müßte. Du brauchst nur deine Untreue offen einzugestehen. Dann sind wir im nächsten Monat geschieden.“
    Linda Cantrell bückte sich, um die Geldscheine aufzulesen. „Vielleicht hast du recht“, murmelte sie hinter zusammengebissenen Zähnen. „Vielleicht hat es wirklich keinen Zweck mehr mit uns beiden. Ich werde mir deinen Vorschlag überlegen.“

    6

    Linda Cantrell hielt ihr Wort. Sie überlegte die ganze Nacht hin und her, was sie tun sollte. Ich habe Geld genug, sinnierte sie. Ich könnte ein paar Jahre sorgenlos davon leben. Ich könnte Weggehen aus London und mich in einem kleinen Nest verkriechen. Ich würde ganz allein bleiben und nie wieder mit einem Mann etwas anfangen. Ich müßte den Klub nicht mehr sehen und dieses häßliche Haus am Ruskin Wall nie mehr betreten. Den ganzen nächsten Tag schleppte Linda Cantrell diese Gedanken mit sich herum. Am Nachmittag machte sie sich zum Ausgehen fertig. Sie ertrug die stickige Luft in der engen Wohnung nicht länger. Die grauen Wände wollten sie schier erdrücken. Kurz vor vier Uhr verließ sie das Haus. Auf keinen Fall wollte sie ihrem Mann noch einmal begegnen. Sie wußte genau, daß eine Aussprache keinen Sinn mehr hatte. Als sie auf den Gehsteig trat, straffte sie unwillkürlich ihre Gestalt. Hochmütig und stolz ging sie an dem grinsenden Hausmeisterpaar vorüber. Sie übersah die spöttischen Blicke der Nachbarn. Sie kümmerte sich auch nicht um das Getuschel in ihrem Rücken. Sie fuhr mit dem Bus nach Poplar hinüber und nahm in einer Teestube einen kleinen Imbiß ein. Als es draussen zu dämmern begann, zahlte sie

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