Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet
mehr, eh ? Na, er hat sich auch ziemlich verändert. Hoffentlich hält er Sie nicht für einen Gerichtsvollzieher. Er hat nämlich schon wieder einen sitzen.“ Hinten am Ofen wollte sich spöttisches Gelächter erheben, aber Allan Raymond brauchte nur einen Blick
dorthin zu werfen, um die Gäste augenblicklich zum Schweigen zu bringen. Lässig und ruhig trat er dann zu Philip Cantreil heran.
„Da bin ich'“, sagte er trocken. „Was kann ich für dich tun? Dein Brief hat recht verzweifelt geklungen. Du hast Sorgen, wie?“
Philip Cantrell taumelte von seinem Stuhl auf und nahm stramme Haltung an, als stünde er wieder vor seinem Vorgesetzten an der Front.
„Verzeihen Sie meine Verfassung, Major“, sagte er demütig. „Halten Sie mich nicht für leichtsinnig. Ich trinke nur, um mich zu betäuben. Sie dürfen nicht glauben, daß ich . . .“
Allan Raymond drückte ihn sanft auf den Stuhl nieder.
„Laß doch den Unsinn“, sagte er lächelnd. „Wollen uns so kameradschaftlich wie früher unterhalten. Wo drückt der Schuh? Brauchst du Geld?“
Philip Cantrell gab nicht gleich eine Antwort. Er ließ erst eine Karaffe Schnaps und zwei Gläser Bier bringen.
„Trink!“ sagte er in verkrampfter Heiterkeit. „Wollen auf unser Wiedersehen anstoßen. Nicht jeder ist so glücklich am dem Feld zurückgekommen wie wir beide.“
„Stimmt“, murmelte Allan Raymond nachdenklich. „Den einen erwischt es eben früher, den anderen später. Momentan scheinst du an der Reihe zu sein. Was gibt's also? Schieß los!“
„Ich habe vor zwei Jahren geheiratet“, brummte Philip Cantreil tonlos. Er wehrte hastig ab, als Allan Raymond ihm gratulieren wollte. „Diese Ehe liegt verdammt schief, mein Lieber. Ich habe die verkehrte Frau erwischt. Sie ist allein daran schuld, daß ich mich hier jeden Abend betrinke.“
„Betrügt sie dich?“ fragte Allan Raymond wachsam. „Ja. Genau das tut sie. War nicht schwer zu erraten, wie? Ich bin eben kein Mann, dem die Frauen nachlaufen. Ich bin ein kleiner Angestellter, der nur wenig Geld mit nach Hause bringt. Und auch sonst scheine ich nur wenig Qualitäten zu haben.“
Er machte eine kurze Pause und stürzte hastig ein Glas Schnaps hinunter. Seine geröteten Augen blickten trüb und stumpfsinnig.
„Warum läßt du dich nicht scheiden?“ fragte Allan Raymond kopfschüttelnd. „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
„Ich habe keine Beweise für ihre Untreue“, stieß Philip Cantrell heiser hervor. „Sie drückt sich nächtelang in einem Klub am Ruskin Wall herum. Sie hat dort zahlreiche Freunde. Sie ist die Geliebte von . . .“
„Na also“, warf Allan Raymond ein. „Das genügt doch.“
„Nein, es genügt nicht“, seufzte Philip Cantreil gepeinigt. „Ich selbst konnte sie noch nie bei ihrem Treiben beobachten. Mir ist nämlich der Eintritt zu diesem verdammten Klub verwehrt. Nur Mitglieder erhalten Zutritt.“
„Woher weißt du dann, wie deine Frau sich dort benimmt ? Du hast sie bisher weder beobachten noch belauschen können.“
„Ach was“, winkte Philip Cantrell müde ab. „Ich mußte die Gerüchte schließlich glauben. Jeder Gassenjunge weiß, wo meine Frau nachts zu finden ist. Sie gehört zu diesen billigen Frauenzimmern, die sich für Geld verkaufen. Sie verdient in dem Haus am Ruskin Wall in einer Woche mehr als ich in einem ganzen Monat. Na bitte. Woher hat sie das Geld? Rede doch! Woher hat sie das Geld?“
Allan Raymond dachte eine Weile nach. In seine Stirn gruben sich tiefe Falten.
„Wann öffnet dieser Klub?“ fragte er schließlich.
„Nachmittags um vier Uhr.“
„Hm. Und wann schließt er seine Pforten?“
„Morgens um vier Uhr. Manchmal wird es auch noch später. Dieses Haus ist ja an keine Polizeistunde gebunden.“
„Gut“, meinte Allan Raymond rasch entschlossen. „Ich werde mir morgen frei nehmen. Wann soll ich bei dir sein?“
Philip Cantrell war so gerührt, daß er beinahe geheult hätte. Der Alkohol trieb ihm das Wasser in die Augen.
„Das werde ich dir nie vergessen“, stammelte er mit schwerer Zunge. „Jetzt fühle ich mich gleich nicht mehr so verlassen. Sagen wir morgen Nachmittag um drei. Ist es dir recht?“
„All right“, sagte Allan Raymond schlicht.
Philip Cantrell atmete auf. Das Gespräch war beendet. Jetzt erst merkte er, wie betrunken er doch eigentlich schon war. Höchste Zeit für ihn, nach Hause zu gehen.
Zwei, drei Schnäpse schüttete er noch in sich hinein, dann
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