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Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Titel: Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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unsympathische Totenschädel in das Beratungszimmer zurückkehrte. Er tat, als wäre nichts geschehen. Er setzte sein Gespräch da fort, wo er es unterbrochen hatte. Mit keiner Silbe erwähnte er den dramatischen Zwischenfall. Er plant irgendeinen Schurkenstreich, grübelte Inspektor Mervan verbissen. Er will mir den Rückweg abschneiden. Er will mich in eine Falle locken. Aber er wird zu spät kommen. Noch ehe er den Gedanken ganz zu Ende gedacht hatte, schickte sich Inspektor Mervan zum Rückzug an. Völlig lautlos huschte er aus dem dunklen Zimmer. Mit raschen Schritten lief er den Galeriegang entlang und hastete auf die Treppe zu, die nach oben führte. An jeder Ecke, an jeder Biegung drehte er sich um. Er sah keinen Menschen. Er hörte keinen Laut. Und trotzdem hatte er das beklemmende Gefühl, als seien sie hinter ihm her.
    Er verdoppelte sein Tempo. Er stürmte die Stufen empor, als ginge es um sein Leben. Nach genau vier Sekunden hatte er die Speicherräume erreicht. Hastig zwängte er sich durch die Luke hinaus auf die oberste Plattform der Feuerleiter. Seine Hände klammerten sich um das rostige Eisengeländer. Keuchend zog er die frische Nachtluft in die Lungen. Ein zerrendes Schwindelgefühl drohte ihn in die Tiefe zu ziehen. Er mußte sekundenlang die Augen schließen, um neue Kräfte zu sammeln. Solche Ausflüge sind nichts mehr für mich, dachte er erschöpft. Ich bin schon zu alt dazu. In Zukunft muß Morry solche Strapazen auf sich nehmen. Er ist jünger. Ihm machen diese Anstrengungen nichts aus. Seine Gedanken rissen ab, als hätte ein heftiger Windstoß sie auseinandergetrieben. Er hörte ein leises Geräusch in seinem Rücken. Ehe er sich noch umdrehen konnte, fühlte er sich brutal umklammert und gegen das Geländer gedrängt. Seine Füße verloren den Halt. Sekundenlang schwebte er zwischen Himmel und Erde. Entsetzt starrte er in den nebligen Hof hinunter. Er konnte den Wachtmeister nicht erkennen. Er sah nichts als graue, rußige Dunstschwaden. Verzweifelt versuchte er, die Trillerpfeife zwischen die Lippen zu bekommen. Es gelang ihm nicht. Es gelang ihm nicht einmal, einen Hilfeschrei auszustoßen. Eine eisenharte Hand drosselte ihm die Luft ab. Eine erbarmungslose Klammer schnürte seine Kehle zusammen. Hoffnungslos kämpfte er gegen eine bleierne Ohnmacht an. Dann geschah es. Er bekam einen rohen Hieb in den Nacken, daß seine letzten Kräfte erlahmten. Seine Hände lösten sich von der Geländerstange. Er kippte vornüber und stürzte hinunter in die tödliche Tiefe. Er glaubte, der Abgrund der Hölle würde sich vor ihm auf tun. Ein irrer Schrei brach über seine Lippen. Ein gellender, langgezogener Hilfeschrei. Eine panische Todesangst umkrallte sein Hirn.
    Dann war es vorüber. Er schlug schwer wie ein Stück Holz auf dem Boden auf. Er gab keinen Laut mehr von sich. Er war schon tot, als Wachtmeister Offort in fassungslosem Schrecken an seine Seite trat. —

    *

    Noch schwerer als das gräßliche Ende Mervans wog die bittere Tatsache, daß Wachtmeister Offort später beschwor, keinen Mörder gesehen zu haben. Er nahm es auf seinen Eid, daß er weder einen Kampflärm noch einen Hilferuf des Inspektors gehört habe. Er bezeugte auch, daß der Inspektor Mervan auf der obersten Plattform den Halt verloren und in die Tiefe gestürzt sei. So mußte man die Akte Mervan vorerst schließen. Es hieß allgemein, er sei an einem tragischen Unglücksfall gestorben.

    8

    Es war abends um zehn Uhr. In der Venus Bar am Madras Viaduct herrschte Hochbetrieb. Die Gäste kamen in solchen Scharen, daß Miriam Davis nicht wußte, wo ihr der Kopf stand. Eben wollte sie wieder mit einem gefüllten Tablett ihre beschwerliche Runde machen, da riß sie Luke Macholl mit raschem Ruck hinter das Büfett zurück.
    „Komm mit“, zischelte er hastig. „Laß den Kram hier stehen. Evi wird solange dein Sercice übernehmen.“
    Er zerrte sie in sein kleines Privatbüro hinaus, und da mußte sie nun zu ihrem Entsetzen feststellen, daß Antony Fingal auf dem abgeschabten Sofa saß. Er starrte ihr mit hämischem Lächeln entgegen. Sein Totenschädel war lauernd und abschätzend auf sie gerichtet. Miriam Davis strebte unwillkürlich zurück. „Was ist denn?“ fragte sie unruhig. „Was soll ich hier?“
    Luke Macholl strich sich nervös über das weiße Pickelgesicht. Sein dünner Rotbart sträubte sich vor Aufregung. „Kommissar Morry sitzt draußen in der Bar“, raunte er gehetzt. „Das ist ein verdammt schlechtes

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