Kommissar Morry - Die Stimme des Terrors
Ihre Tapete genau an", spöttelte der Unbekannte. „Vielleicht kommt Ihnen dabei die seltene Scheußlichkeit des Musters zum Bewußtsein. Woran liegt es nur, daß Polizisten so selten einen guten Geschmack entwickeln?"
„Sind Sie gekommen, um das zu erfahren?" fragte Rockwell. Er rauchte hastiger als sonst. Das Gefühl, in einer tödlichen Gefahr zu schweben, war längst von ihm gewichen. Er fing an, die Situation auf seine Weise zu genießen. Ihn störte lediglich der Umstand, daß er am nächsten Morgen den Verlust seiner Pistole zu Protokoll geben mußte. Obwohl er an diesen Folgen des Überfalls nichts zu ändern vermochte, betrachtete er ihre Auswirkungen als einen empfindlichen Prestigeverlust. Die jüngeren Kollegen würden schön grinsen, wenn sie hörten, was ihm widerfahren war!
Schließlich war er kein Irgendwer, sondern Lionel Rockwell, Inspektor und Leiter der Mordkommission, ein Mann, dessen Ruf weit über die Grenzen seiner Heimatstadt gedrungen war. Sogar New York hatte sich schon um ihn und seine Dienste bemüht. Rockwell hatte es jedoch vorgezogen, in Memphis zu bleiben. Das war seine Heimat. Es gab viele Dinge, die ihm an Arkansas mißfielen, aber hier in Memphis kannte er jeden Schlupfwinkel, hier stand er mit den Gangstern gewissermaßen auf du und du. Es gab nur wenige Verbrechen, die er nicht binnen kurzer Zeit aufzuklären vermochte. Schon an der Arbeitsmethode seiner „Klienten" erkannte er im allgemeinen, wo er den Hebel ansetzen mußte.
„Wie ich höre, befassen Sie sich mit dem Fall Landville", sagte der Fremde. Zum erstenmal trat in die nonchalante Stimme ein Unterton von Spannung.
Wäre der Inspektor ein Hund gewesen, so hätte er beim Erwähnen dieses Namens gewiß sofort die Ohren hochgestellt. Landville! Das war die leidige Geschichte, die ihn seit über drei Wochen in Atem hielt.
„Haben Sie mir etwas darüber zu berichten?" erkundigte sich Rockwell.
„Ich möchte von Ihnen erfahren, wie weit Sie mit Ihren Ermittlungen gekommen sind."
„Sie machen mir Spaß!" sagte Rockwell. „Glauben Sie allen Ernstes, ich wäre bereit, irgendwelche Dienstgeheimnisse zu verraten?"
„Warum nicht?" fragte der Mann. Wenn er nicht spöttelte, war seine Stimme von einer dunklen, gefährlichen Trägheit. Der Kerl stammt aus den Südstaaten, genau wie ich, dachte Rockwell. Der Inspektor begann in Gedanken ein Bild des unbekannten Eindringlings zu formen — dabei entstand das Konterfei eines etwa dreißigjährigen Mannes mit großen, glühenden Augen und vollen, sinnlichen Lippen, die in den Mundwinkeln spöttisch nach unten gezogen waren. Rockwell interessierte es brennend, festzustellen, ob dieses Produkt seiner Phantasie mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Er nahm sich vor, das unter allen Umständen zu ermitteln.
„Warum nicht?" wiederholte der Fremde. „Vielleicht läßt sich ein Geschäft auf Gegenseitigkeit arrangieren, hm? Sie sagen mir, wen Sie verdächtigen, und ich erkläre Ihnen ein paar Dinge, die Ihnen möglicherweise neu sind."
„Sie sind der Mörder!" sagte Rockwell.
„Bitte?" fragte der Fremde verdutzt.
„Sie haben mich gut verstanden. Sie haben Nathalie Landville getötet, nicht wahr?"
Der Fremde lachte. Es klang bitter und enttäuscht. „Sie wissen also nichts?" sagte er. „Gar nichts?"
Es stimmte. Der Fall Landville war noch so mysteriös und ungeklärt wie am ersten Tag.
„Beruhigen Sie sich", sprach der Fremde gelassen. „Ich bin nicht der Täter."
Rockwell versuchte es noch einmal. „Sie haben es getan", behauptete er. „Sie sind zu mir gekommen, um zu erfahren, wie weit unsere Ermittlungsarbeit gediehen ist. Sie hielten es einfach nicht länger aus. Sie wollten sich Gewißheit verschaffen!"
„Ich war es nicht", sagte der Unbekannte.
„Worum geht es Ihnen?"
„Ich suche den Mörder, genau wie Sie."'
„Sie sind kein Familienmitglied?"
„Nein. Aber ich bin ein Freund der Landvilles — zumindest ein Freund der Verstorbenen. Ich bin daran interessiert, für den Tod der alten Dame Vergeltung zu finden."
„Warum kommen Sie dann nicht mit offenem Visier in mein Büro? Warum dringen Sie unter diesen Umständen wie ein gemeiner Gangster in meine Wohnung ein?"
„Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Ich habe nicht vor, sie jetzt und hier mit Ihnen zu erörtern..."
Rockwell ging in Gedanken rasch den Freundeskreis der Landvilles durch. Die meisten dieser Leute hatte er nach dem Mord an Nathalie Landville eingehend befragt. Niemand war
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