Kommissar Morry - Terror um Mitternacht
große Zahl der Namensschilder neben der Tür wies darauf hin, daß es sich tun ein Haus mit sogenannten Junggesellenappartements zu handeln schien. Die Tür war verschlossen. Der Inspektor klingelte. Als sich auch nach dem dritten Klingeln niemand meldete, holte er den Hausmeister heraus. Er hieß Scribbs. Motley erkannte in dem hageren, sehr aufrecht gehenden Mann sofort den ehemaligen Berufssoldaten. Der Inspektor wies sich aus.
„Ich möchte zu Mr. Webb“, erklärte er.
Mr. Scribbs meinte: „Um diese Zeit pflegt er zu schlafen, Sir. Vermutlich hat er die Klingel abgestellt. Er hat es nicht gern, wenn ihn jemand stört. Schließlich ist er Nachtarbeiter.“
„Das bin ich manchmal auch“, meinte Motley und schaute auf seine Uhr. „Ich muß ihn unbedingt sprechen.“
„Ich will versuchen, ihn wach zu bekommen", erwiderte Scribbs und stieg mit Motley die Treppe hinauf. Da Webb im ersten Stock wohnte, hielt er es für überflüssig, den Fahrstuhl zu benutzen. Oben angekommen stellte sich heraus, daß die Klingel funktionierte. Man konnte sie deutlich hören. Der Hausmeister läutete mehrere Male, aber nichts regte sich.
„Er ist anscheinend ausgegangen“, meinte er.
„Um diese Zeit? Ich denke, da schläft er?“
„Das ist im allgemeinen seine Gewohnheit, Sir.“
„Im allgemeinen?“
„Neulich ging er ebenfalls an einem Vormittag weg. Er mußte zum Finanzamt, wie er mir sagte.“
„Haben Sie einen zweiten Schlüssel zur Wohnung?"
„Allerdings, Sir.“
„Holen Sie ihn.“
„Das geht nicht, Sir! Haben Sie einen Haussuchungsbefehl?“
„Holen Sie den Schlüssel, Mann. Es kann sein, daß es um Leben oder Tod geht.“
Mister Scribbs zog die buschigen Augenbrauen in die Höhe. Dann machte er eine exakte Kehrtwendung und hastete ins Erdgeschoß. Wenig später war er mit dem Schlüssel zurück.
„Öffnen Sie“, befahl Motley.
Mister Scribbs kam der Aufforderung nach und hielt dem Inspektor die Tür offen.
Motley trat ein. Er befand sich in einem winzigen Flur, von dem drei Türen abzweigten. Eine stand halb offen. Sie führte zu der winzigen Küche. Die andere hatte eine Luftklappe. Sie gehörte offensichtlich zum Duschraum. Die dritte war verschlossen. Motley sah sich im Flur um. An der winzigen Garderobe hing ein Sommermantel. Das eingenähte Schild wies nach außen. Es war ein Burberry, ein teures Stück. Auf der Hutablage befand sich ein schwarzer Homburg. Darunter lagen helle Lederhandschuhe. Aus einer Bodenvase ragte ein Stockschirm.
„Da geht es zum Wohnzimmer", erklärte Scribbs. „Es ist ein Wohn-Schlafzimmer, Sir.“
Motley nickte und öffnete die Tür. Das Zimmer war leer. Man konnte sehen, daß die Bettcouch nicht berührt worden war. Alles stand oder lag sehr ordentlich an seinem Platz. Mister Webb war ein Junggeselle, der es offenbar haßte, in Unordnung zu leben. Motley dachte an seine eigene Junggesellenzeit und fühlte so etwas wie Respekt für den Oberkellner vom Odeon.
„Das ist merkwürdig“, sagte Scribbs.
„Was, wenn ich fragen darf?“
„Er ist ausgegangen, ohne seinen Schirm mitzunehmen. Er verließ das Haus niemals ohne Schirm. Die anderen Mieter machten schon Witze darüber.“
„Er kann ihn vergessen haben.“
„Es ist trotzdem merkwürdig."
Sie verließen das Wohnzimmer. Motley stieß die Küchentür auf. Auch hier sah es ordentlich aus. Nirgendwo war ein Stück schmutziges Geschirr zu sehen. Motley nickte anerkennend. Scribbs, der sich neugierig umschaute, schien ganz ähnlich zu empfinden wie der Inspektor und meinte: „Mister Webb ist in der Tat ein höchst ordentlicher Mann, Sir.“
Motley betrat den kleinen Flur und öffnete die Tür zum Badezimmer.
„Ein höchst toter Mann, Mister Scribbs“, korrigierte er.
Scribbs, der in seiner langen Laufbahn als Kolonialsoldat mehr als eine außergewöhnliche Überraschung erlebt hatte, war keinen Augenblick schockiert.
„Der Schuß muß ihn überrascht haben, Sir“, bemerkte er fachkundig.
„Das ist doch Mister Webb?“
„Ohne Zweifel, Sir.“
Der Mann lag auf den Steinkacheln des Bodens. Er war völlig unbekleidet. Seine Sachen hingen an einem Haken neben der Tür.
„Entweder wollte er gerade duschen, oder sein Mörder hat ihn beim Duschen überrascht", meinte Mr. Scribbs.
„Wann pflegte er zu duschen?“
„Sobald er vom Dienst zurückkehrte. Das war so gegen vier Uhr morgens.“
„Das war die Regel?“
„Ja, Sir. Mister Webb gestattete sich in diesem Punkt keine Ausnahmen. Er
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