Kommissar Morry - Terror um Mitternacht
Spur.“
Die junge Dame befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. In ihren schönen violetten Augen stand ungläubiges Staunen.
„Moment mal. Sie haben erklärt, Franks Foto sei in allen Zeitungen abgebildet. Er ist doch ein bekannter Mann! Es muß doch Leute geben, die der Polizei mitgeteilt haben, wer er ist.“
„Nun, er ist nicht ganz so bekannt, wie Sie meinen. Sie wissen, daß er immer eine Sonnenbrille trug, sogar in den Bars, die er gelegentlich mit Ihnen auf suchte.“
„Natürlich weiß ich das. Frank hatte besonders lichtempfindliche Augen!“
„Das ist die story, die er aller Welt erzählte. In Wirklichkeit war es eine Verkleidung. Sie gehörte zu dem Versteckspiel, das er aus guten Gründen mit seinem Cousin trieb.“ Der junge Mann schob seine Brille zurecht. Er tat es mit einer ziemlich gespreizt erscheinenden Bewegung. „Sie wundem sich, daß ihn niemand erkannt hat. Sie hätten das Bild sehen sollen. Der abgebildete Kopf hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Frank Morris, wie Sie ihn kennen, und wie ich ihn kenne.“
„Haben Sie die Polizei schon benachrichtigt, daß Franks Cousin der Täter ist?“
„Nein.“
„Aber warum denn nicht, um Himmels willen? Das ist doch Ihre Pflicht!“
„Die Polizei darf nichts davon erfahren“, sagte der junge Mann in seiner merkwürdig gelassenen Art.
„Ich verstehe Sie nicht, Breckwood.“
„Sehen Sie, gnädiges Fräulein, ich bin immerhin schon seit vier Jahren als Privatsekretär von Mr. Morris tätig. In dieser Eigenschaft hatte ich Gelegenheit, mehr von seinen Wünschen und Gepflogenheiten in Erfahrung zu bringen, als es irgendeinem anderen Menschen möglich war. Ich darf Ihnen versichern, daß Mr. Morris vor dem Besuch bei seinem Cousin ziemlich genau wußte, welcher Gefahr er sich aussetzte. Er ging trotzdem. Er ging Ihretwegen.“
„Meinetwegen?“
„Ich komme sofort darauf zurück. Vorher darf ich noch feststellen, daß er mich bat, im Falle eines . . . hm . . . Scheiterns seiner Mission auf keinen Fall die Polizei zu benachrichtigen.“
„Ja, warum denn, um Himmels willen?“
„Da bin ich zum ersten Mal überfragt, gnädiges Fräulein. Soweit ich es beurteilen kann, handelt es sich bei der ganzen furchtbaren Geschichte um ein Familiengeheimnis, um ein Duell, wenn Sie so wollen, das zwischen Mr. Morris und seinem Cousin nicht per Distanz in Metern, sondern per Distanz in Wochen, Monaten und Jahren ausgefochten wurde. Jeder besaß die gleiche Chance. Wer zuerst zuschlug, war Sieger.“
„Ein Duell?“
„Ich finde keine andere, keine passendere Bezeichnung dafür. Die beiden waren entschlossen, einander ans Leben zu gehen. Sie mußten es tun, um nicht selbst überwältigt zu werden. Das war jedenfalls der Stand der Dinge, als Sie in Mr. Morris Leben traten.“
„Was geschah dann?“
„Sie wissen, daß Mr. Morris entschlossen war, Sie zu heiraten. Heute morgen wollte er Sie in Zürich treffen. Vorher aber wollte er die unglückliche Geschichte mit seinem Cousin aus der Welt schaffen.“
„Er wollte ihn töten?“
„Keine Spur“, tröstete der junge Mann mit einem faden Lächeln. „Er hatte die Absicht, die Hand der Versöhnung auszustrecken. Er wollte die Ehe mit Ihnen nicht mit einer so schrecklichen Hypothek belasten, wie ich sie Ihnen geschildert habe.“
„Er hat mir nie etwas davon erzählt.“
„Das war pure Rücksichtnahme. Er wollte Sie nicht mit seinem Kummer behelligen.“
„Sie haben keine Ahnung, welcher Art die Hintergründe dieses schrecklichen Familiengeheimnisses sind?“
„Nein, gnädiges Fräulein.“
„Wie heißt der Cousin?"
Der Sekretär zögerte.
„Ich muß wissen, wer es ist.“
„Spencer Wyck.“
„Den Namen habe ich noch nie gehört.“
„Es ist Mr. Morris Mörder.“
Die junge Dame atmete sehr ruhig. Sie saß aufrecht und blickte an dem Sekretär vorbei in den Park hinaus. Sie erinnerte sich genau daran, daß sie vor kaum einer Woche mit Frank da draußen spazierengegangen war. Sie hatte noch den Klang seiner zärtlichen Stimme im Ohr. Plötzlich traten Tränen in ihre Augen. Sie schaute den Sekretär an.
„Glauben Sie wirklich, ich werde das so einfach hinnehmen?" fragte sie. „Wofür halten Sie mich eigentlich, Breckwood? Ich habe Frank geliebt. Ein Verbrecher hat ihn mir genommen. Das werde ich nicht ignorieren.“
„Ich meine, man sollte den letzten Willen eines Toten achten.“
„Wenn ich Sie recht verstehe, machte er zur Bedingung, daß die Polizei
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