Kommissar Morry - Terror um Mitternacht
lag auf dem Deck eines seeuntüchtigen Schleppers, von dem niemand zu wissen scheint, wem er gehört. Der Schlepper liegt schon seit Jahren hier am Kai. Er verrostet allmählich.“
Motley stieg einige in die Kaimauer eingelassene Stufen hinab. Von hier aus konnte er bequem auf das Oberdeck des Schleppers springen. May, Nighel, die beiden Fotografen und der Sergeant folgten ihm.
„Wir haben ihn nur einmal kurz untersucht, Sir“, berichtete der Sergeant. „Wir mußten ja feststellen, ob er nur betrunken oder verletzt ist.“ „Haben Sie etwas Besonderes festgestellt?“
Der Sergeant schluckte.
„Sie werden Mühe haben, ihn zu identifizieren, Sir.“
„Was heißt das?“
„Er sieht nicht gut aus.“
Motleys Blick glitt über die saubere, bürgerliche Kleidung. Die Sachen waren weder elegant noch neu. Der Mann gehörte zu den Leuten, die auf keiner Straße der Stadt irgendwie auffallen. — Über ihnen wurde ein lautes Brummen hörbar. Alle hoben die Köpfe, als ein Hubschrauber ziemlich niedrig über den Themsearm hinwegglitt. An den Zulassungsziffern erkannte Motley, daß es eine Privatmaschine war.
„Bißchen merkwürdig, was?“ meinte May.
„Notieren Sie sich die Nummer“, sagte Motley.
„Würden Sie bitte zur Seite treten?“ fragte Chepman. Er hatte seine Kamera aufgebaut.
Nachdem er eine Reihe von Aufnahmen geschossen hatte, beugte sich Nighel über das Gesicht des Unbekannten. Motley blickte nur den Arzt an.
„Wir müssen die Kerle finden“, murmelte er. „Und zwar schnell.“
*
Die junge rothaarige Dame entlohnte den Taxifahrer und hastete dann durch das geöffnete schmiedeeiserne Portal auf die große weiße Villa zu. Sie lief so schnell, wie es der enge dunkle Rock erlaubte. Geradezu erbittert drückte sie auf den Klingelknopf. Als der hochgewachsene Butler öffnete, ging sie an ihm vorbei, ohne ihm einen Gruß zu gönnen. Erst in der Halle blieb sie stehen. Die Treppe herab kam ein junger, elegant gekleideter Mann, der eine Brille trug, die im krassen Gegensatz zu seiner etwas geckenhaften Erscheinung stand. Die Brille hatte ein Nickelgestell und kreisrunde Gläser. Sie gab seinem Gesicht ein leicht törichtes, aber auch etwas unheimliches Aussehen.
„Wo ist Frank?“ stieß die junge Dame hervor.
Der junge Mann setzte ohne Eile den Weg ins Erdgeschoß fort. Er antwortete erst, als er sich der Besucherin bis auf einen Schritt genähert hatte.
„Wir haben mit Ihrem Eintreffen gerechnet“, stellte er fest.
„Wo ist Frank?“
„Er ist tot“, erwiderte der junge Mann und hob in einer ziemlich nachlässigen und kaum bedauernden Manier die Schultern. Die Gleichgültigkeit, die diese Geste ausdrückte, entsetzte die Besucherin ebenso sehr wie die Nachricht, die er ihr übermittelte.
„Tot?“ stotterte sie.
„Man hat ihn umgebracht“, setzte der junge Mann erklärend hinzu. Seine Stimme war leise und unmännlich.
Die junge Dame schloß die Augen. Es sah aus, als würde sie schwanken. Dann riß sie sich zusammen.
„Das kann nicht sein!“ sagte sie.
„Sie sollten einen Blick in die Morgenzeitungen werfen“, meinte der junge Mann. „Sie werden sein Bild1 auf den Frontseiten finden.“
„Es kann nicht sein!“ wiederholte die junge Dame. Sie hob die Lider und starrte dem jungen Mann aus ihren schönen, violetten Augen ins Gesicht.
„Wenn Sie meine Worte bezweifeln, empfiehlt sich ein kurzer Besuch bei der Polizei.“
„Wer war sein Mörder?“
„Lassen Sie uns in die Bibliothek gehen“, sagte der junge Mann. „Das Mädchen wird uns etwas Tee bringen. Ich möchte wetten, daß Sie die Stärkung sehr nötig haben.“
Als sie in der hohen, kühlen Bibliothek Platz genommen hatten, legte der bebrillte junge Mann ein Bein über das andere. Vorher strich er sich sorgfältig die Hosen glatt, um die Bügelfalte zu schonen.
„Erzählen Sie mir alles", sagte die junge Dame. Sie war kreidebleich, aber gefaßt.
„Frank ... ich meine, Mister Morris, hatte einen Feind.“
„Davon wußte ich ja gar nichts!“
„Frank . . . Mister Morris sprach nicht gern darüber. Schließlich handelte es sich bei seinem Feind um einen nahen Verwandten . . . um seinen Cousin.“
„Weiter!“
„Mr. Morris wußte, was er von seinem Cousin zu erwarten hatte. Er suchte eine Aussprache mit ihm . . . und fand dabei den Tod.“
„Hat die Polizei den Täter schon gefaßt?“
„Sie weiß nicht einmal, wer der Täter ist.“
„Aber sie kennt das Opfer, nicht wahr?“
„Keine
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