Kommissar Pascha
suchte nach passenden Worten, etwas Nettem, was sie aber nicht überbewerten sollte, während sie sich dem rot leuchtenden Neonschild des Sultans Harem näherten. Kaum waren sie einige Schritte gegangen, ergriff Cengiz die Gelegenheit, mit ihrem Chef unter vier Augen zu reden.
»Tut mir leid, ich hätte den Kollegen Leipold nicht so bloßstellen dürfen.«
Demirbilek erwiderte nichts.
Das war Cengiz egal. Sie fuhr fort: »Und das mit der Witwe tut mir auch leid. Ich bin etwas voreilig, ich weiß, und meinen Mund kann ich auch nicht halten. Es ist schlimm. Aber was soll ich machen? Das steckt tief in mir drin. Wahrscheinlich habe ich als türkische Tochter zu sehr um Aufmerksamkeit gerungen. Sie kennen das ja bestimmt.«
Demirbilek tat das, was er sich vorgenommen hatte. Er lächelte nett, aber nur ein wenig, bevor er zischte:
»Sus, kızım. Lütfen!«
Cengiz hielt überrascht den Mund. Er hätte einfach auf Deutsch »Sei still, verdammt noch mal« sagen können, dachte sie. Es lag etwas Väterliches in seiner türkischen Aufforderung, den Mund zu halten. Cengiz dankte dem oder den Tätern dafür, so schnell eine zweite Chance bekommen zu haben, eine gute Beziehung zu ihrem Chef aufbauen zu können.
Als sie etwa zehn Meter vor dem Gebäude waren, blieb Demirbilek stehen. Er schaute zurück zum Parkplatz des Supermarktes. Dann wieder zum Eingang des Sultans Harem. Schließlich wandte er sich in die anderen Richtungen. Er hatte eine Ahnung. Eine Intuition. Spontan einer Eingebung folgend, gab er Cengiz einen Auftrag: »Geh noch mal zu Pius und frag nach, ob er den Schuppen hier kennt. Sag, dass eine Freundin dort arbeitet oder so etwas. Ganz nebenbei. Unauffällig. Dann schickst du ihn zu mir.«
Er duzt mich, das ist ein gutes Zeichen, freute sich Cengiz.
»Warum das? Das verstehe ich nicht.«
Demirbilek richtete seinen Blick abermals zum Sultans Harem.
Cengiz dämmerte, was ihr Chef andeuten wollte: »Sie meinen, er war gar nicht einkaufen, sondern in dem türkischen Puff?«
»Warum nicht in einem türkischen? Bayerische Puffs gibt es keine mehr in München. Höchstens zur Wiesnzeit. Da hängen sie weiß-blaue Deko für die Auswärtigen auf«, entgegnete Demirbilek ungeduldig. »Jetzt geh und sprich mit dem Pius.«
Der Deutsche beobachtete aus dem BMW Mini heraus, wie die Polizei den Tatort minutiös untersuchte. Die Akribie und Konzentration der Beamten beeindruckten ihn. Er hatte in seinem abwechslungsreichen Berufsleben Bekanntschaft mit Polizisten aus unterschiedlichsten Ländern gemacht und bescheinigte in seinem fiktiven Ranking den bayerischen Ermittlern einen der vorderen Plätze. Manche Vorurteile sind einfach richtig, stellte er fest. Die Deutschen sind ordentlich und gründlich – wie er.
Um kein Aufsehen zu erregen, wenn er den Motor startete, ließ er den Mini stehen und machte sich zu Fuß auf den Weg. Schritt für Schritt entfernte er sich von dem erleuchteten Parkplatz. Bei dem ungeplanten nächtlichen Spaziergang durch den Industriepark ordnete er seine Gedanken. Metin Burak war tot. Er selbst war Augenzeuge des Verbrechens geworden. Was für eine verrückte Geschichte, sinnierte er und fragte sich, wie er damit umgehen sollte. Er hatte den jungen Mann, der Metin getötet hatte, ein paar Mal von vorne mit der Kamera erwischt. Die Parkplatzbeleuchtung war mehr als ausreichend für seine Kamera. Das entsetzte Gesicht des jungen Mannes nach dem einzigen Schuss ohne Schalldämpfer war einfach zu interpretieren. Er selbst hatte mehrfach aus beruflichen Gründen getötet. Aus dieser Erfahrung heraus war er sich sicher, dass der junge Mann nicht die Absicht gehabt hatte, Metin Burak zu erschießen. Zu gerne hätte er gewusst, welche Waffe er benutzte. Reine Berufsneugier. Die Arbeit begann nicht gut, ärgerte sich der Deutsche. Er hätte die Ermordung von Süleyman Güzeloğlus Chauffeur verhindern müssen. Schlechte Schlagzeilen waren garantiert. Auf der anderen Seite, sagte er sich, wie hätte er absehen sollen, dass der junge Mann den Chauffeur erschießen würde?
Morgen früh würde er als Erstes den Mini abholen und Gül Güzeloğlu im Auge behalten. Metin Buraks Mörder zu fassen war schließlich nicht der Auftrag, für den er königlich bezahlt wurde.
Die Spurenermittler murrten, als Zeki Demirbilek sie hinausschickte. Er wollte zehn Minuten ungestört am Tatort sein. In der Luxussuite stand eine Ottomane in der Ecke. Neben dem samtroten Sitzmöbel war ein Beitisch mit
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