Kommissar Pascha
Jahren entgegengeschleudert hatte. Sie nahm den noch gepackten Reisekoffer, ihre Tochter und verschwand aus seinem Leben. Seitdem habe sie keinen Kontakt mehr zu ihm, Alimente habe er immer brav bezahlt. Als ihr am Ende der Befragung bewusst wurde, dass die regelmäßigen Zahlungen ausbleiben würden, begann sie herzergreifend zu schluchzen.
Später berichtete Cengiz von ihrem Gespräch mit Derya Tavuk. Cengiz war fasziniert von der gebildeten und intelligenten Frau. Vor dreizehn Monaten hatte sie noch in einem anatolischen Dorf gelebt, jetzt kellnerte sie in dem hübschen Dirndl im Nockherberg-Biergarten. Aus reiner Berechnung habe sie Stefan Weiß geheiratet, habe die brave, in jedweder Hinsicht willige Ehefrau gespielt, bis sie in München war und den deutschen Pass in Händen hielt. Es täte ihr nicht leid. Ein Jahr als importierte Braut an der Seite eines Deutschen, der sich als Türke gebärdete, sei genug Bezahlung gewesen. Cengiz schloss ihren Bericht damit ab, dass Derya ihren Ehemann vor zwei Wochen verlassen habe, weil er mit ihrer Anstellung als Bedienung nicht einverstanden gewesen war. Sie habe alles stehen und liegen lassen. Er sollte nicht merken, dass sie wegging. Seitdem wohne sie bei einer Freundin und habe Stefan nicht gesehen. Als sie ihn verließ, sei er guter Dinge gewesen, habe behauptet, dass es mit dem Drecksjob als Metzger vorbei sei. Er steige auf zum Geschäftsführer und werde einen eigenen Laden haben.
»Ein Geschäft? Ein Büro? Was meinte sie mit Laden?«, fragte Demirbilek nach.
Cengiz grinste, bevor sie antwortete. »Derya ist mal daran vorbeigelaufen, hat sie erzählt. Da gibt es ein Geschäft in der Landwehrstraße. Ein ehemaliger Dönerladen.«
»Der wird aber nicht gerade renoviert, oder?«, fragte Vierkant überrascht.
»Keine Ahnung«, antwortete Cengiz verunsichert. »Hätte ich sie danach fragen sollen? Ich habe ihre Handynummer. Ich kann sie anrufen, jederzeit.«
»Nein, schon gut, Cengiz. Hast du sie gefragt, ob er sie geschlagen hat?«
»Nein, die Hand hat er nicht gegen sie erhoben. Sie hatte leichtes Spiel mit ihm«, resümierte Cengiz. »Nach ihren Worten war er ein Träumer. Einer, der sich nach einer Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht sehnte. Wie euer bayerischer Märchenkönig Ludwig, der war doch auch so drauf, oder?«, erkundigte sich Cengiz und erntete verständnislose Blicke ihrer Münchner Kollegen.
»Gut. Ich schaue mir dein Verhör in Ruhe auf Video an. Gut gemacht«, lobte der Kommissar Cengiz, ohne es zu merken, und wandte sich Vierkant zu.
»Kümmerst du dich darum? Wer weiß, vielleicht ist es tatsächlich Serdals Dönerladen, den Tavuk übernehmen sollte. Ob das eine Bedeutung für unsere Ermittlungen hat, werden wir sehen. Ach ja, was ist eigentlich mit dem Bruder von Karaboncuk?«
»O mein Gott!«, schrie Vierkant erschrocken auf und starrte auf ihre Armbanduhr. 12 : 05 Uhr. Nur noch dreißig Minuten bis zur Landung der Maschine aus Istanbul. Das war nicht zu schaffen. Sie sprang auf und packte in Windeseile ihre Tasche. Du hast es vergessen, du dumme Kuh, ärgerte sie sich. Cengiz saß bereits an ihrem Computer und checkte den Flug.
»Die Maschine hat fünf Minuten Verspätung«, sagte sie und griff nach dem Telefon. »Ich rufe mal Wagner an, vielleicht hat er Bereitschaft.«
Vierkant stürmte aus dem Büro, Demirbilek verkniff sich einen Kommentar. Innerlich freute er sich, dass die beiden auf Anhieb gut miteinander auskamen. Noch wussten sie nicht, dass Leipold zu ihnen stoßen würde. Er war nicht sicher, was das für das Team bedeutete, und wollte die Überraschung bis Dienstschluss zurückhalten.
»Hast du herausgefunden, wer der Tote im Auto ist?«, fragte Demirbilek nach einer Weile.
Cengiz öffnete eine E-Mail auf ihrem Smartphone. »Als sie gestern Nacht nach Hause sind, habe ich mir die Fahrzeugpapiere angesehen. Die Limousine ist geleast. Unser Toter heißt Metin Burak, ist fünfundfünfzig Jahre alt geworden, blieb unverheiratet, keine Kinder. Er war Berufssoldat in der türkischen Armee. Jahrelang an der irakischen Grenze stationiert. Hat mehrere Gefechte überstanden, eine Reihe Auszeichnungen. Muss ein harter Hund gewesen sein. Kannte sich mit Waffen aus, wusste, wie man tötet. Ein unrühmlicher Eintrag wegen einer Schießerei mit einem Kameraden. Rakı war im Spiel, er wurde unehrenhaft aus der Armee entlassen.«
»
Yeni Rakı
oder
Tekirdağ
?«, fragte Demirbilek lächelnd.
»Ich denke mal, das war ihm ziemlich
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