Kommissar Pascha
verabredeten sich die beiden Freunde dort zum Mittagessen. Demirbilek hatte während einer Ermittlung auf dem Oktoberfest den selbsternannten Würstlkönig entdeckt, der auch Grillfleischsandwichs anbot. Anfangs war er skeptisch gewesen, weil fünf Meter weiter ein türkischer Dönerladen klassischen Kebab verkaufte. Doch seine Neugier bohrte so lange, bis er seine Vorurteile über Bord warf und die bayerische Dönervariante bestellte. Der verschwitzte Mann hinter dem Verkaufsstand säbelte das Fleisch mit dem Elektromesser ab, füllte die krossen Fleischstücke mit einer Zange in ein getoastetes Sandwichbrot, gab milde Schalotten und zwei dünne Tomatenscheiben dazu. Am Ende der Prozedur häufte er eine Soße auf Currybasis mit einem Plastiklöffel auf Fleisch und Beilage. Kein Salatblatt störte das Arrangement. Möglicherweise war das die entscheidende Abänderung zum normalen Döner – nach dem Kaffee wohl die sinnvollste Erfindung der Türken. Schon nach dem ersten Bissen war sein Urteil gefällt. Es ist wie beim Fußball, hatte Demirbilek damals gedacht, wenn die Türkei gegen Deutschland spielt. Die Türken marschieren los, die Deutschen schießen die Tore. Selbst gutes Fastfood kann man noch besser zubereiten, musste er neidlos eingestehen. Ein Münchner macht den besten Döner in der Stadt, was für eine Niederlage für die türkische Zunft, vor allem wenn er einen geschmacklichen Vergleich zu den Produkten der Döner-Delüks-Kette von nebenan zog.
Haueis wollte Demirbileks Geld nicht, er sei eingeladen, meinte er mürrisch, nahm die Plastiktüte mit den beiden Grillfleischsandwiches und trabte los. Unterwegs zum Südfriedhof schob Demirbilek ihm einen 5 -Euro-Schein in die Jackentasche. Robert merkte es nicht, er war aufgeregt und übel gelaunt wegen seiner neuen Freundin. Erste Probleme schlichen sich ein. Wie sich herausstellte, hatte sie eine erwachsene Tochter, die den ganzen Tag auf der Couch vor der Glotze herumfläzte und sich von vorne bis hinten von Mama bedienen ließ.
Demirbilek dachte an seine eigene Tochter. Er wünschte, sie würde wieder bei ihm einziehen. Er hätte sich gerne um sie gekümmert, sagte er sich, wobei ihm klar war, dass das in die Tasche gelogen war. Özlem war kein Kind mehr, das pflegte er in regelmäßigen Abständen zu vergessen. Es fiel ihm schwer, sich einzugestehen, dass Özlem längst ihr eigenes Leben führte. Sehr früh war sie eigenständig gewesen, bereits nach der zweiten Schulwoche wollte sie den Schulweg alleine gehen. Drei Kreuzungen, zwei unübersichtliche Ausfahrten, bei kindgerechtem Tempo zwölf Minuten Fußweg, hatte Demirbilek bei unzähligen Probeläufen gestoppt. Selma und er waren einer Meinung, dass Özlem nicht ohne elterliche Begleitung gehen sollte, doch die morgendlichen Tränen vor dem Aufbruch in die Schule waren nicht zu ertragen. Schließlich setzte sich das sechsjährige Kind durch und marschierte mit stolz erhobenem Köpfchen und glücklichem Gesicht allein zur Schule. Die ersten Male folgte Demirbilek heimlich und rauchte auf dem Hin- und Rückweg mehrere Zigaretten.
Von Özlem wanderten seine Gedanken zu Aydin. Seinem Sohn. Er wurde ein Jahr nach Özlem eingeschult. Er war in der Entwicklung anders als seine Zwillingsschwester. Verspielt, in Traumwelten schwelgend, in Gedanken mit höheren Dingen beschäftigt wie der Anordnung der Sterne am Nachthimmel. Er kreierte mit sechs Jahren eigene Sternenkarten und gab den Konstellationen Namen aus der Welt der Musik – aus dem Großen Wagen wurde der Dicke Kontrabass. Für Aydin war Einschlafen ohne klassische Musik unmöglich. Özlem bestand deshalb früh auf ein eigenes Zimmer, ihr ging die ewige Musik auf die Nerven. Ein paar Tage nach der Aufdeckung von Aydins geheimen Übungsraum fand Zeki das Aufnahmeformular einer Privatschule mit musischer Ausrichtung auf dem Küchentisch. Selma hatte Aydin angemeldet, ohne mit Demirbilek darüber zu sprechen. Schließlich wusste sie, dass ihr Mann es lieber sah, dass sein Sohn »normal« aufwuchs, Fußball spielte, sich dreckig machte und in einer Umgebung groß wurde, die nichts Abgehobenes hatte. Anders als Selma schätzte er die eheliche Krise als überwindbar ein. Er war sich nicht im Klaren, wie sehr Selma darunter litt, dass sie nicht mehr wissenschaftlich arbeiten und unterrichten konnte. Schlimm wurde es, als Demirbilek zur Verabschiedung seiner Eltern nicht am Flughafen erschien. Nach vierunddreißig Jahren Deutschland kehrten Fatma und
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