Kommissar Pascha
standen eine Flasche Cola und zwei Gläser, aber kein Rakı, fiel Demirbilek auf. Wo war die Familie?, fragte sich der Kommissar. Bei der des Bruders vielleicht? Aber warum geht er dann nach Hause und nicht direkt zu seiner Schwägerin?
Vierkant schneuzte sich gerade die Nase. Der trauernde Mann bemerkte Demirbilek aus den Augenwinkeln, machte aber keine Anstalten, ihn zu grüßen. Er war laut Akte sechsunddreißig, zwei Jahre älter als sein ermordeter Bruder. Man sah ihm an Kleidung und Haarschnitt an, dass er ein traditioneller Türke war. Das Hemd aus Polyester vom Basar, der Haarschnitt kurz. Der penetrante Duft von Kolonya hing in der stickigen Luft.
Erleichtert sprang Vierkant auf, als Demirbilek in den großen Raum trat. Es war die typische Wohnung einer Gastarbeiterfamilie alten Schlags. Mit allen Mitteln der Dekorationskunst brachte man die Heimat in greifbare Nähe. Von gehäkelten Tischläufern bis zu illuminierten Kaaba-Abbildungen. Die ausgefallene Sammlung
çay
-Gläser und Mokkatassen im Wohnzimmerschrank fehlten genauso wenig wie das Hochzeitsfoto und Fotos der drei Söhne im Prinzenkostüm anlässlich ihrer Beschneidung. Aydins Beschneidungsfest war eine Katastrophe gewesen, erinnerte sich Demirbilek. Selma und er hatten nachgegeben, weil sein Vater das Fest unbedingt ausrichten wollte. Die Beschneidung übernahm ein arabischer Arzt. Auf das Prinzenkostüm verzichtete man, weil es doof aussah, wie Aydin beteuerte, und nicht dazu zu bewegen war, das Kostüm, das sein
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besorgt hatte, anzuziehen. Entsprechend gedrückt war die Stimmung auf der Feier in dem urbayerisch eingerichteten Nebenraum der Obergiesinger Wirtschaft Hohenwart gewesen. Eine Mischung aus Kindergeburtstagsparty und Kaffeekränzchen. Demirbilek dachte mit gemischten Gefühlen an das erlösende Weißbier, das ihm der Wirt nach der Bezahlung der Rechnung ausgegeben hatte.
Auf dem Flur erklärte Vierkant dem Kommissar mit gedämpfter Stimme, dass sie Ali Karaboncuk gerade noch am Flughafen erwischt habe. Sie habe auch gleich kondoliert, wie sich das gehöre, doch er dachte, sie mache einen schlechten Scherz, und schob sie zur Seite. Als sie den Dienstausweis vorzeigte, nahm er das Telefon und rief jemanden an. Er unterhielt sich auf Türkisch. Sie verstand nichts. Nach dem Telefonat fing er zu weinen an und wollte nach Hause gefahren werden.
»Er wusste nichts vom Tod seines Bruders?«, fragte Demirbilek.
»Nein. Die Reaktion war nicht gespielt, da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Gut. Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
»Ich hab’s versucht. Aber er hat immer wieder Weinkrämpfe. Ich habe ihm gesagt, dass Sie kommen. Ich glaube, er ist froh, dass er nicht mit mir als Frau sprechen muss, sondern mit einem türkischen Kommissar«, erläuterte Vierkant.
Demirbilek nickte und ging zurück ins Wohnzimmer.
Ali Karaboncuk saß nicht mehr auf der Couch. Die Balkontür war angelehnt. Demirbilek drehte sich zu Vierkant um.
»Ich spreche auf dem Balkon mit ihm. Hat er nach dem Telefonat am Flughafen eine weitere Nummer angerufen?«
Vierkant verstand nicht, was ihr Chef meinte. Er deutete auf das Handy auf dem Wohnzimmertisch. Vierkant überlegte eine Weile.
»Er hat zwei oder drei Anrufe bekommen. Selbst telefoniert hat er aber nicht.«
»Gut, schreib die Nummer auf, die zuletzt auf dem Display erscheint«, sagte er und zog die Balkontür ganz auf.
Vierkant drückte die Wiederholungstaste des Handys, schrieb hastig die Nummer aus dem Speicher in ihr Notizbüchlein und beeilte sich, aus der Wohnung zu kommen. Unten vor dem Haus gab sie die Telefonnummer an Jale im Büro durch. Jale brauchte den Anschluß nicht zu prüfen. Sie pfiff erstaunt.
»Schon wieder diese Nummer!«, rief sie aus und weihte Vierkant ein, dass Demirbilek dieselbe Geheimnummer im Sultans Harem von der Frau an der Rezeption bekommen hatte, um bei Notfällen anrufen zu können.
Vierkant legte auf und setzte sich auf einen Mauervorsprung. Dann machte sie eifrig weiter Notizen in ihr Büchlein, während sie auf Demirbilek wartete.
Als Demirbilek auf den Balkon trat, war Ali Karaboncuk gerade im Begriff, die Satellitenschüssel aus der Wand zu reißen. Er hielt ihn nicht davon ab, sein Eigentum zu zerstören. Schließlich hatte der Mann die Schüssel samt Verschraubungen in Händen. Zwei handgroße Löcher waren aus der Mauer gebrochen. Demirbilek schaute vom Balkon hinunter auf die Wiese und nickte ihm zu. Daraufhin brüllte Ali Karaboncuk seine Wut
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