Kommissar Pascha
mal kurz hinaus.« Demirbilek hörte Schritte, bis Aydin wieder zu sprechen begann. »Gut. Was gibt’s?«
»Was machst du so lange bei Jale? Wie geht es ihr eigentlich?«, fragte Demirbilek.
»Sie wird heute noch mal durchgecheckt und bleibt die Nacht über zur Kontrolle im Krankenhaus. Wenn alles gutgeht, darf sie morgen wieder raus.«
»Und du warst die ganze Zeit bei ihr?«, fragte Demirbilek mit vorwurfsvollem Unterton.
»Ist ja wohl meine Sache, was ich mit meiner Zeit anstelle«, erwiderte Aydin ebenso vorwurfsvoll und wechselte des lieben Friedens willen das Thema. »Wie ist es in Istanbul?«
»Laut!«, erwiderte Demirbilek. »Kannst du mir sagen, ob deine Mutter zu Hause ist oder heute Vorlesung hat?«
Aydin verstummte und antwortete erst nach einer Weile. »Sie hat bis vier Uhr ein Seminar … Tu ihr nicht wieder weh,
baba,
bitte.« Aydin legte auf, ohne sich zu verabschieden.
Nein, dachte Demirbilek, das werde ich ganz sicher nicht. Schnell ging er zu Tekerek und Leipold. Er informierte Pius, dass er ihn in drei Stunden wieder treffen würde, um Gül Güzeloğlu zu verhören. Dann setzte er sich nach hinten in den Wagen und gab dem Fahrer als Ziel die Istanbuler Universität an.
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54
H uperei gehörte zum Alltag im Istanbuler Straßenverkehr. Die Fahrt zur Universität zog sich hin. Der mit einer unglaublichen Geduld gesegnete Fahrer schaltete irgendwann das Radio ein. Einer der vielen Privatsender spielte türkische
saz-
Musik. Die getragene Melodie mischte sich unter den Straßenlärm, der durch die vier geöffneten Fenster in das Wageninnere drang. Demirbilek holte seine drei Taschentücher heraus und faltete sie sorgfältig zusammen.
Endlich fand der Fahrer in der Nähe des Haupttores der Universität ein Fleckchen freie Straße zum Halten. Demirbilek informierte ihn, dass es nicht lange dauern würde, und ging zum Platz vor dem altehrwürdigen Universitätsgebäude. Die türkische Flagge wehte auf dem Fahnenmast im Wind, Tauben pickten fleißig auf dem Kopfsteinpflaster, fliegende Händler und Lastenträger kreuzten den Platz. Da entdeckte er Selma, die durch das Haupttor direkt auf ihn zukam. Sie war nicht allein. Eine Gruppe Studenten begleitete sie.
Demirbilek pfiff einen Jungen herbei, der seine Dienste als Schuhputzer anbot. Eifrig stellte der Junge mit zerrissenen Hosen dem Kommissar den Hocker hin und ging seiner Arbeit nach, während Zeki weiterhin Selma im Auge behielt. Ein Mann um die vierzig mit einem Aktenkoffer in der Hand steuerte auf die Gruppe zu, begrüßte die Studenten und gab Selma einen Wangenkuss. Nach einer Weile hakte sie sich bei ihm ein und zog mit ihm weiter.
Zeki war etwas verstört. War der Mann, der nicht unansehnlich war, ihr Freund oder ein Kollege? Er bezahlte den Jungen großzügig, der in Windeseile die Schuhe auf Hochglanz poliert hatte, und folgte den beiden. Sobald sie den Vorplatz der Universität verlassen hatten, nahm der Mann wie selbstverständlich Selmas Hand und hielt eines der gelben Taxis an.
Zeki blieb stehen und verfolgte von weitem, wie er mit dem Taxifahrer diskutierte. Selma richtete sich beim Warten das Haar. Dann drehte sie sich um.
Zekis Gebete wurden erhört. Selma schaute direkt in seine Richtung. Er lächelte verschmitzt und machte keine Anstalten, zu ihr zu gehen. Sie lächelte ungläubig zurück, als wäre ihr Ex-Ehemann eine flirrende Erscheinung in der Nachmittagshitze. Zeki deutete auf ein Straßencafé, keine fünfzig Meter entfernt. In dem Augenblick öffnete der Mann die Wagentür des Taxis und bugsierte Selma auf den hinteren Sitz. Das Taxi fuhr los. Selma drehte sich ein weiteres Mal um und sah aus dem hinteren Fenster zu ihm – mit sehnsuchtsvollem, melancholischem Blick und einer entschuldigenden Geste.
Regungslos wartete Zeki, bis Selma im Verkehrschaos verschwunden war. Danach kehrte er schnell durch die wuselnde Menschenmenge zu seinem Fahrer zurück und gab als neues Ziel die Galatabrücke an. Auf seine Bitte hin wechselte der Mann den Sender. Türkische Popmusik war jetzt genau das Richtige für seine gute Stimmung. Hoffnung keimte auf, seine große Liebe zurückzugewinnen. Auch wenn es in Selmas Leben einen anderen Mann geben könnte. Das war ihm egal. Er war schließlich Zeki Demirbilek, der Mann mit dem Selma zwei Kinder hatte. Und nicht irgendwer, stellte er voller Kampflust fest.
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D as letzte Stück zur Galatabrücke gingen Demirbilek und Leipold zu Fuß. Ihr Weg führte sie an der neuen
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