Kommissar Pascha
wie ein Blasebalg. Alle drei beobachteten ihre Kollegin mit tiefer Erleichterung.
Dann, behutsam, mit geschlossenen Augen, voller Konzentration und unter Aufwendung all seines Glaubens, legte Demirbilek seine rechte Hand auf Cengiz’ Stirn. Leise bewegten sich seine Lippen. Er flüsterte gleich einem melodischen Singsang die Zeilen einer heilenden Koransure.
Kurz darauf erwachte Cengiz benommen aus dem Schlaf. Sie blinzelte, sah sich verwirrt um und lächelte zögerlich. Unter großer Anstrengung sagte sie: »Ich muss auf’s Klo – dringend.«
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52
V or über zwanzig Jahren hatte Robert Haueis zu einem Spottpreis eine vierzig Quadratmeter große Wohnung in Istanbul käuflich erworben. Zu der Zeit dümpelte die Stadt ohne Selbstbewusstsein vor sich hin, gelähmt von einer anhaltenden wirtschaftlichen Rezession. Die Wohnung lag auf einem der Hügel im Stadtteil Tophane mit freiem Blick auf den Schiffsverkehr. Als vor drei Jahren das Viertel aufwendig saniert wurde, war es mit dem Meerblick vorbei. Nach Roberts berufsbedingter Rückkehr nach München behielt er in weiser Voraussicht die Wohnung. Wenn sein Freund Zeki in Istanbul eine Bleibe brauchte, ohne gleich die unüberschaubare Anzahl Verwandter zu alarmieren, bot er ihm an, dort zu übernachten.
Für den Antiquitätenhändler war das Treffen um neun Uhr, das sie tags zuvor ausgemacht hatten, alles andere als christlich. Pünktlich kam Zeki mit dem Taxi von Jales Krankenbett und klopfte an seine Ladentür.
Robert öffnete, mit einem frisch gebrühten
kahve
in der Hand. »Du hast es sicher eilig«, sagte er müde und drückte die Mokkatasse und den Schlüsselbund seiner Istanbuler Wohnung in Zekis Hand.
»Kollege Wagner holt mich mit Leipold in zehn Minuten ab«, sagte Zeki, trank den Mokka in drei Zügen aus und setzte sich auf einen der antiquarischen Stühle. »Und? Wie geht’s dir, Robert? Wie läuft es mit deiner neuen Freundin?«
»Sie hat Schluss gemacht, weil ich mich über ihre Tochter ständig aufregen musste«, erklärte Robert widerwillig.
»So schnell? Damit du dich aufregst, muss schon allerhand passieren. Was war denn los?«
»Triffst du Selma in Istanbul?«, erwiderte sein Freund ausweichend und sendete damit das eindeutige Signal, nicht weiter über seine Ex-Freundin reden zu wollen.
»Wie kommst du darauf?«
»Sie hat gestern angerufen, bevor ihr euch an der Isar getroffen habt. Ich dürfte dir eigentlich nichts sagen«, bemerkte Robert mit einem Augenzwinkern.
»Pius und ich bleiben höchstens ein oder zwei Tage. Ich glaube nicht, dass ich Zeit haben werde. Was wollte sie denn?«
»Frag sie selbst! Sie wohnt eine halbe Stunde von meiner Wohnung weg. Richte es ein, mein Freund«, riet er.
Demirbilek überlegte fieberhaft, ob er die Chance nutzen sollte, Selma zu überraschen.
Robert war inzwischen zu dem Tisch gegangen, auf dem er das
tavla
vorbereitet hatte. Demirbilek rückte den Stuhl näher und griff zu den Würfeln.
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53
I n einer Höhe von rund zwölftausend Metern war Leipold in einen Artikel des Bordmagazins über europäische Szeneclubs vertieft. Demirbilek döste neben ihm. Bei der Durchsage des Kapitäns wachte er aus einem verworrenen Traum auf und bekam als Erstes Leipolds schlechte Zähne zu sehen. Der starrte mit offenem Mund an seinem Kopf vorbei aus dem Fenster. Bei Demirbilek weckte der atemberaubende Anblick auf die Metropole Istanbul ähnliche Empfindungen. Er versuchte, sich vorzustellen, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn seine Eltern damals nicht nach Deutschland gegangen wären. Wie es gewesen wäre, wenn er mit Selma in Istanbul zusammengelebt hätte. Zeki spürte, dass ein Teil von ihm sich danach sehnte, dort zu sein. Gleichzeitig aber war München sein Zuhause. Er schob die Gedanken weg und konzentrierte sich auf den Grund ihrer Reise. Gül Güzeloğlu hatte Ahmet Burak zur Flucht verholfen. Er musste sie sprechen.
Birol Tekerek fuhr nach der Landung des Flugzeugs aus München mit einem Servicewagen direkt zur Maschine. Der in Nürnberg ausgebildete Polizist im Dienste der Istanbuler Polizei, Wirtschaftsdezernat, begrüßte die Münchner Kollegen mit festem Händedruck. Während der Fahrt im Elektrofahrzeug war wegen des ohrenbetäubenden Lärms auf dem Rollfeld keine Unterhaltung möglich. Nachdem sie die Einreiseformalitäten an einem Sonderschalter hinter sich gebracht hatten, führte Tekerek die beiden zu einem Ford Mondeo. Während der Fahrt in die Innenstadt berichtete er,
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