Kommissar Steen 01 - Unruhe
aus, wie alle Menschen, die ohne Vorwarnung aus ihrem Alltag gerissen und in eine Gefängniszelle im Polizeipräsidium gesperrt wurden. Hier saßen sie neben den gefährlichsten und unkontrollierbarsten Untersuchungshäftlingen der Hauptstadt, und es gab keine Schallisolierung. Zwar hatte Lindberg nur eine Nacht dort zugebracht, doch würde er kaum ein Auge zugetan haben. Wie groß doch der Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspiel ist, dachte Axel, als Darling den Stuhl für Lindberg vom Tisch abrückte. In der Modpress-Redaktion vier Tage zuvor hatte er Souveränität ausgestrahlt, war trotzig, abweisend und angriffslustig gewesen, jetzt ließ er sich mit einem übernächtigten Ausdruck im Gesicht nieder, die morgendlich zerzausten Haare standen nach allen Seiten ab, das bordeauxfarbene Sweatshirt und die Jeans wirkten abgetragen und schmuddelig.
Er blickte zu den beiden Beamten auf und wirkte plötzlich sehr präsent. »Sehen wir zu, dass wir das hier hinter uns bringen.«
Darling begann.
»Immer mit der Ruhe. Wir brauchen eine ausführliche Erklärung von Ihnen, was Sie die letzten vierundzwanzig Stunden gemacht haben und was mit Piver passiert ist, und wir haben viel Zeit.«
»Ich muss überhaupt nichts erklären. Ich habe bereits gesagt, dass ich keinen Piver kenne, ich weiß nicht, wer er ist, und ich bin ihm nie begegnet oder habe mit ihm telefoniert. Ich habe heute noch so einiges zu tun und nicht vor, mir das von euch sabotieren zu lassen.«
Axel bezweifelte, dass Darling mit der von ihm bevorzugten kognitiven Verhörtechnik allzu weit kommen würde, ihn also an irgendeinem Punkt beginnen zu lassen und ihm dann blind durch seine Geschichte zu folgen. Das führte nämlich zu nichts, wenn die Leute überhaupt nicht reden wollten. Und es schien so, als habe Lindberg seinen Kampfgeist bereits wiedergefunden.
»Fragt mich nach dem, was ihr wissen wollt, und verratet mir, warum ich hier bin. Ihr verdächtigt mich, Informationen in einem Mordfall vor der Polizei zurückzuhalten, aber worum geht es dabei? Wenn ihr mir das nicht klar darlegt, sage ich nichts mehr, bevor mein Anwalt hier ist.«
»Dann rufen wir eben Ihren Anwalt an«, sagte Darling. »Kümmerst du dich darum, Axel? Und dann machen wir eine Pause, bis er da ist. Oder können wir das Verhör fortführen? Eins kann ich Ihnen versichern: Ganz egal, welche Vorurteile und Vorstellungen Sie davon haben, womit wir unseren Tag verbringen: Mit Ihnen hier drin zu sitzen und zu reden, gehört ganz bestimmt nicht zu unseren Lieblingsbeschäftigungen. Wir wollen Ihnen weder eins auswischen noch Sie schikanieren, wir sind Ermittler des Morddezernats, und Sie sind hier, weil Sie für unseren Fall, über den Sie ja bestens Bescheid wissen, außerordentlich interessant geworden sind. Es geht nicht um Ihre Vergangenheit, und das hier hat nichts mit dem 18. Mai 1993 oder Ihren politischen Standpunkten zu tun, auch wenn Sie das vielleicht gerne glauben wollen. Wir wissen nicht, wie Sie in die Sache verwickelt sind, aber wir müssen klären, was Sie wann gemacht haben, wer Sie gesehen hat und mit wem Sie gesprochen haben. Wenn Sie dabei nicht mit uns kooperieren, wird die Sache schwierig. Und langwierig. Ich bin sicher, Ihr Anwalt wird Ihnen das bestätigen.«
Es sah so aus, als machten Darlings Worte Eindruck auf Lindberg, der zwar ein hart gesottener Aktivist war und schon mehrere Male im Zusammenhang mit Straßenschlachten eingesessen hatte, doch es war eine Sache, ein Szenerevoluzzer zu sein, und eine ganz andere, unter Mordverdacht zu stehen.
»Je schneller wir das klären können, desto besser für alle Beteiligten. Also?«, fragte Darling.
»Ich will meinen Anwalt, aber wir können schon anfangen.«
»Ich würde gerne wissen, wo Sie am Freitag waren.«
»Ich war bei Modpress und auf der Straße, praktisch den ganzen Tag lang.«
»Was heißt auf der Straße?«
»Überall in Nørrebro, wo Aktionen liefen.«
»Waren Sie sonst noch irgendwo?«
Er zögerte.
»Ja, nachmittags war ich bei Stoppt Trafficking in Christianshavn.«
»Wann?«
»Gegen drei. Ich bin dort eine Stunde geblieben.«
Christianshavn, nicht weit von Christiania – das passte damit zusammen, dass Piver im Freistaat gewesen war. Axel ging hinaus und bat einen Kollegen, Lindbergs Anwalt anzurufen. Als er zurückkam, fing Darling gerade wieder von vorne an.
»Erzählen Sie uns doch einfach von Anfang an, was Sie am Freitag gemacht haben.«
Martin Lindberg berichtete von einem
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