Kommissar Steen 01 - Unruhe
ausgelatschte Lederstiefel mit Reißverschluss – ein Outfit, das er sehr sorgfältig bei der Heilsarmee zusammengestellt hatte – und saß in einem Sessel vor einem zugemauerten Kamin und tat so, als würde er lesen. Sein Haar war schulterlang, getreu dem Motto: Ab sind die Haare schnell, sollte man einen Bankdirektor spielen müssen, aber verlängern wird schwierig, wenn der Hippie-Typ gefragt ist.
»Vor dem Präsidium wurde Lindberg gleich von ungefähr hundert schwarz vermummten Scheißkerlen in Empfang genommen. Und jetzt sind sie auf dem Weg zu euch«, sagte Sten Jensen.
»Fuck, was für eine Scheiße!«
Die zwei jungen Männer aus dem Lieferwagen schalteten die Anlage ein, und Punkmusik wummerte in einer heftigen Lautstärke über den Pladsen. Axel konnte nicht verstehen, ob der Text Englisch oder Dänisch war, nur der Refrain klang klar und deutlich zu ihm durch: No Justice! No Peace! Fuck the Police!
Lasso, der Mann, der das Geld übergeben sollte, saß zusammen mit vier weiteren jungen Männern auf den Caféstühlen vorm Escobar. Moussa verhielt sich ruhig und trank Kaffee mit seinen Freunden. Alles sah nach einem entspannten Plauderstündchen aus.
»Kann jemand das Geld sehen, eine Tasche, ein Paket oder etwas in der Art?«, fragte Henriette Nielsen im Headset, angespannt und konzentriert.
Eine Gruppe Journalisten stand um einen Tisch vorm Floras herum, und Axel konnte einige ihm bekannte Polizeireporter ausmachen, während die Fotografen auf dem Platz herumspazierten. Sonne war dabei und gestikulierte mit den Armen, wie immer trug er die Weste, hatte die große Fototasche über der Schulter und eine Kippe im Mundwinkel. Hinter ihnen rollte ein Wagen von TV 2 heran, und Dorte Neergaard sprang aus der Schiebetür, gefolgt von einem Kameramann.
In dem Wagen mit den getönten Scheiben war es still. Alle warteten. Henriette Nielsen knuffte ihn in die Seite und zeigte nach hinten.
Alle Presseleute reckten die Hälse, und einige von ihnen setzten sich die Blågårdsgade hinunter in Richtung Nørrebrogade in Bewegung.
»Was zum Teufel ist da los?«
Axel ließ die Scheibe noch etwas weiter nach unten gleiten. Jetzt konnte er die Rufe hören, sie kamen näher und näher. Ersog die feuchte Frühjahrsluft in die Lungen und wünschte, er könne sich frei bewegen, anstatt in dieser kleinen Blechdose eingesperrt dazuhocken, denn die Geräuschkulisse aus wohlbekannten Schlachtrufen rief Verzweiflung in ihm hervor: »Eins, zwei, drei – Nazipolizei! Polizeigewalt macht vor niemand halt!«
Wieder knisterte es im Headset.
»Eine Demo ist auf dem Weg zu euch. Mit Lindberg als Galionsfigur.«
Die paar Hundert Autonomen, die sich am Pladsen eingefunden hatten, jubelten und johlten und versammelten sich, um ihren Kameraden entgegenzugehen. Der schmale Korridor der Straße verstärkte die Rufe, und eine Welle aus Adrenalin und Angst rollte durch Axels Körper. Die Masse klang wütend und kraftvoll, aufgebracht und grässlich, bedrohlicher als alles, was er kannte. Und es bedeutete Gefahr. So war es vierzehn Jahre zuvor gewesen, und daran hatte sich nichts verändert.
Totschlag, Verstümmelung, verrottete Leichen und Sexualmord, all das gerne, aber bitte verschont mich mit Straßenkämpfen und fliegenden Pflastersteinen.
Lasso saß immer noch seelenruhig vor dem Escobar und rauchte Kette.
Brian stieg wieder in den Wagen.
»Ich kann das einfach nicht glauben, Henriette. Ihr wisst nicht einmal, wer den Stoff abliefern soll. Das ist reine Zeitverschwendung. Wenn wir eingreifen, gibt’s jede Menge Stress mit den ganzen Durchgeknallten, die da draußen rumlaufen. Die hassen uns wie die Pest.«
Henriette Nielsen war die Ruhe selbst.
»Der Stoff soll in einer Stunde geliefert werden. Also mal ganz ruhig.«
Die Demonstranten, eine Mischung aus Schaulustigen, Mitläufern und dem harten Kern aus etwa hundert Militanten, strömten auf den Platz, vollständig schwarz gekleidet und mit Halstüchern vor den Gesichtern, einige mit Sturzhelmen. MartinLindberg war bei ihnen. Er trug die Kleidung, die er bereits im Gefängnis angehabt hatte, und er sah verblüffend enthusiastisch und frisch aus. Die Presseleute scharten sich um ihn.
»Was haben wir an Unterstützung, wenn hier die Hölle ausbricht?«, fragte Brian.
Henriette Nielsen griff nach ihrem Funkgerät.
»Alfa zwölf, wie ist der Bereitschaftsstatus für die Demo?«
»Fünfzehn Wagen in den Straßen um den Platz herum, zwanzig weitere als Backup. Für den
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