Kommissar Steen 01 - Unruhe
baumelten. Vom Fenster aus hatte man freie Sicht auf den Tatort. Zwar konnte man die Leiche nicht sehen, aber die Polizisten, die Projektoren und die Leute in den weißen Schutzanzügen ließen niemanden im Zweifel darüber, dass dort unten etwas Verhängnisvolles passiert war.
»Jetzt wischen Sie sich erstmal die Tränen ab und setzen Sie sich. Es geschieht Ihnen nichts. Mir sind die Krawalle da draußen ziemlich einerlei. Ich brauche Informationen über eine Kamera, die oben auf dem Dach installiert war und die heute Morgen entfernt wurde. Wissen Sie etwas darüber?«
Das Mädchen schniefte und nickte.
»Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht. Piver hat sie mitgenommen.«
»Piver?«
»Ja, er wohnt auch hier. Also in diesem Zimmer, meine ich.« Ihre Augen waren feucht, aber allmählich gewann sie die Fassung zurück. Axel sah sich in dem Zimmer um und bemerkte ein Paar großer Kampfstiefel, ein Skateboard, das hinter der Tür an der Wand lehnte, und einen ganzen Stapel CD s. »Heute Morgen haben wir am Fenster gestanden und euch gesehen. Ihr habt ein paar Mal auf das Dach gezeigt.«
»Was ist dann passiert?«
»Piver ging nach unten auf die Straße, um nachzusehen, worauf ihr die ganze Zeit zeigt, und als er wieder heraufkam, war er ganz außer sich. Er sagte, da oben sei eine Kamera, die mit Sicherheit alle gefilmt hätte, die an den Demos unten auf der Straße teilgenommen hatten.«
»Und was dann? Konnte ihm das nicht egal sein?«
Jetzt weinte sie wieder und schüttelte den Kopf.
»Was hat er dann gemacht?«
»Er ist nach oben gerannt, hat die Kamera geholt und ist wieder in die Wohnung gekommen. Dann klopfte Ihr Kollege an die Tür, und Piver ist über die Hintertreppe abgehauen.«
»Hat er die Kamera mitgenommen?«
»Ja.« Sie weinte.
»Habt ihr gesehen, was die Kamera aufgenommen hat?«
»Nein, Piver wollte sie gerade laufen lassen, als ihr kamt.«
»Wo ist Piver jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Er hat nicht gesagt, wohin er wollte.«
»Geben Sie mir mal Ihr Handy.«
Sie zögerte.
»Es ist wichtig, Herrgott noch mal!«
Er riss es ihr aus der Hand, ging die Kontakte durch, bis er Pivers Namen fand. Bevor er anrief, notierte er sich die Nummer.
Der Anruf wurde sofort angenommen.
»Haben sich die Bullen verpisst?«
»Piver, du sprichst mit Axel Steen, Polizei Kopenhagen. Es ist sehr wichtig, dass du die Videokamera, die du mitgenommen hast, nicht …«
Die Verbindung wurde abgebrochen.
Er rief wieder an. Es ging kein Rufzeichen raus. Er verfluchte seine eigene Dummheit.
»Wie sieht Piver aus, und was hatte er an?«, fragte Axel.
Das Mädchen gab ihm eine Beschreibung, die zu Hunderten der jungen Menschen passte, die die Straßen bevölkerten, aber das musste erst einmal reichen. Er rief die Einsatzzentrale im Präsidium an.
»Ich brauche sofort Ortung und Abhörung einer Mobilnummer. Es handelt sich um einen Verdächtigen in einem Mordfall.« Er ging hinaus auf den Flur und gab Pivers Mobilnummer durch.
Der Diensthabende stellte sich quer.
»Dazu brauche ich eine richterliche Genehmigung.«
»Ja, ja, zum Teufel, aber bring das jetzt erstmal in Gang. Ruf die Telefongesellschaft an, Status ›Gefahr im Verzug‹. Den Papierkram erledigen wir dann später. Und schick mir und Erna die Gesprächsaufzeichnungen zu, dann kann sie die schon mal ausdrucken.«
Alle Abhörmaßnahmen mussten von einem Richter genehmigt werden, und formal gesehen konnte mit der Abhörung erst begonnen werden, wenn die Genehmigung vorlag. In dringenden Fällen gab es allerdings die Möglichkeit, dass die Polizei die Abhörung bei der Telefongesellschaft unter dem Status ›Gefahr im Verzug‹ einleitete – in Erwartung der richterlichen Genehmigung – und dann vierundzwanzig Stunden Zeit hatte, diese nachzureichen.
Axel gab eine Beschreibung Pivers und seiner Kleidung durch.
»Schick ihn durch den Computer. Und gib eine interne Fahndung nach ihm raus.«
Bei den Worten ›Verdächtigen in einem Mordfall‹ war Rosa zusammengezuckt.
»Ein Mordfall? Aber … Wer ist denn tot? Piver hat doch niemanden umgebracht.«
»Vielleicht nicht, aber wenn Sie ihm etwas Gutes tun wollen, dann bringen Sie ihn dazu, sich zu stellen und uns die Videokamera zu liefern, denn da könnten Bilder von dem Täter drauf sein, den wir suchen.«
»Aber was ist denn passiert?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber die Kamera ist sehr wichtig für uns. Und in diesem Zusammenhang ist es vollkommen uninteressant, ob auch Aufnahmen von
Weitere Kostenlose Bücher