Kommissar Steen 01 - Unruhe
Kreuzberg und Mailand.
Am Christianshavns Torv stieg er aus dem Bus, überquerte die Straße und bemühte sich, nicht zu den drei Streifenwagen und den Bullen hinüberzusehen, die auf dem Platz herumstanden. Dennoch meinte er zu spüren, wie ihre Blicke ihm folgten. Drei Straßen, dann wäre er in Sicherheit. Es kribbelte ihn bis in die Fingerspitzen, einen Joint zu rauchen und zu sehen, was zur Hölle auf dem Video war. Als er um die Ecke zur Prinsessegade bog, drang ihm der Gestank ausgebrannter Müllcontainer in die Nase, gleichzeitig begegnete sein Blick einen Moment zu lange dem eines Bullenschweins in Zivil. Es war eine Gruppe von drei Männern, die sich an der Kreuzung bei der Vor Frelser Kirke postiert hatte. Piver befand sich näher an Christiania als sie, aber es waren noch gut hundertfünfzig Meter. Wenn er es bis in den Freistaat schaffte, hatten sie keine Chance mehr, ihn zu erwischen. Die Polizei drang nur in den Freistaat ein, wenn sie über eine entsprechend große Gruppenstärke verfügte, zwei, drei Zivilschweine würden im Nullkommanichts gesteinigt. Er wandte den Blick ab und ging schneller. Als er die Schritte hinter sich hörte, rannte er so schnell er konnte und schrie um Hilfe.
»Aufhalten!«, brüllten die Bullen.
Er fühlte, dass alle Aufmerksamkeit an ihm und den drei Polizisten klebte, die ihn verfolgten. Sie kamen näher, das spürte er. Der Eingang zum Freistaat war jetzt ganz nah, er presste die Tasche mit der Videokamera eng an den Körper, während seine Beine vorwärts trommelten. Er hatte kaum noch Kraft, aber die Angst half ihm. Wenn die Bullen ihn einholten, würden sie sich auf ihn werfen, sein Gesicht auf den Asphalt drücken, und dann hieß es bye-bye Videokamera, bye-bye Demos, bye-bye Liz und alles andere. Die Leute riefen »Autonomenarsch« und »Bullenschweine«, und Piver hoffte inständig, dass seine Verfolger von den vielen Wachen am Eingang des Freistaates aufgehalten würden. Als er den Eingang nach Christiania in der Bådmandsstræde erreichte, verschwand der Klang der hinter ihm her stürmenden Schritte in einem Chor aus Pfiffen und Jubelrufen von Passanten und den Wachen am Eingang. Er lief noch ein paar Schritte weiter und sah sich dann um.
Die Zivilbeamten zogen sich unter höhnischen Zurufen und vereinzelten Steinwürfen aus der Gruppe von zwanzig bis dreißig Menschen, die am Eingang standen, zurück. Einer der Bullen hatte seinen Schlagstock aus dem Gürtel gezogen, der andere, mit dem er Blickkontakt gehabt hatte, zeigte auf Piver und rief etwas, das wie »Wir kommen wieder« klang, aber die Worte gingen im Gebrüll und Hundegebell unter.
Jetzt war er in Sicherheit. Aber nicht sehr lange. Er war etwa fünfzig Meter weit gekommen, als sich eine der Wachen vom Eingang vor ihm aufbaute und wissen wollte, was zum Henker mit ihm los sei. Der Mann, kahl geschoren, zwei Ringe im Ohr, ein Stacheldrahttattoo um den Hals, glasige, bösartig stierende Augen, stieß ihn vor die Brust.
»Also, Jungchen? Wieso war die Polizei hinter dir her?«
Er log ihm vor, er habe ihnen den Stinkefinger gezeigt und »Zick zack Bullenpack« gerufen. Der Typ drohte, er werde Kleinholz aus ihm machen, wenn er Ärger anschleppe, und ließ ihn gehen.
Er hatte siebenundneunzig Kronen in der Tasche. Genug für ein Gramm, aber nicht genug für ein paar Starkbier im Woodstock oder im Nemoland, auf die er sich gefreut hatte. Vielleicht konnte er irgendwo zwei, drei Züge oder einen halben Joint schnorren, dann hätte er immer noch das Bier, um die Sache abzurunden. Er ging die Pusherstreet entlang auf der Suche nach einem bekannten Gesicht, aber da war niemand, den er kannte und der ihm vielleicht mit Geld oder einem Handy ausgeholfen hätte. Obwohl er sich hier sicher fühlte, war er wegen des Besuchs der Polizei in der Wohnung immer noch viel zu aufgedreht. Und wegen der Kamera. Er musste wissen, was los war.
7
Axel trat auf die Straße. Zwei Tauben fraßen sich an einer Pfütze aus hellrotem Erbrochenen satt. Die Vormittagsluft war klar und ein wenig feucht, aber es deutete nichts auf Regen hin. Er sah über die Nørrebrogade. An Werktagen Verkehrsinferno und Mekka für Geschäftemacher, wo man alles bekommen konnte von Wasserpfeifen, Fahrstunden, arabischen Brautkleidern mit Schleier, halal geschlachtetem Lamm und gezupften Augenbrauen bis hin zu Kündigungen von Mobilfunkverträgen, ausländischen Devisen, Plagiaten von Markenwaren aus China, Stieg Larssons gesammelten Werken,
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