Kommissar Steen 01 - Unruhe
wegen der Videokamera. Polizeibesuch kannte sie aus dem R 3, wo sie ein paar Jahre gewohnt hatte. Aber im Kasten, wie ihre Kommune aufgrund der Form des Hauses hieß, waren die Schweine vom PET oder der Polizei bisher nicht aufgetaucht. Der Kasten war nicht richtig autonom, nicht wie die drei Revoluzzerkommunen in Nørrebro, die einfach nur R 1, R 2 und R 3 genannt wurden. Genau wie er selbst. Er war auch kein Autonomer, obwohl er inzwischen fast zwei Jahre dafür gekämpft hatte, akzeptiert zu werden. Vielleicht war das hier sein Ticket in den inner circle?
Bei seinem ersten Besuch im R 3 war er geradezu andächtig gewesen. Er hätte es gerne verborgen, zitterte aber beinahe vor Ehrfurcht.
»Du weißt schon, wofür R 3 steht, oder?«, fragte Liz, als sie den Knopf der Sprechanlage drückte.
»Klar. Revoluzzerkommune 3.«
»Gut, du hast deine Hausaufgaben gemacht. Und sei bloß nicht peinlich, das sind alte Freunde von mir.«
Ja, und ob er seine Hausaufgaben gemacht hatte. Hier wohnten sie, die aus Protest gegen die Abschiebung eines schwulen Iraners die Büros der Ausländerbehörde in Brand gesteckt hatten. Und die Gerüchte besagten, dass einige von ihnen mit von der Partie gewesen waren, als vor ein paar Jahren eine Brandbombe in die Garage des Integrationsministers geworfen wurde, sodass um ein Haar das ganze Haus niedergebrannt wäre. Hier zu sein bedeutete, ein Teil davon zu werden. Zwar wehte hiernicht unbedingt der Wind der Geschichte, aber doch immerhin der fliegender Pflastersteine, und er war ganz elektrisiert gewesen, als ihnen ein hochgewachsener Kerl mit kurzen Haaren die Tür zum R 3 geöffnet und sich mit den Worten »Peter, aber alle nennen mich Paris« vorgestellt hatte.
»Du kannst also Texte bearbeiten und Seiten layouten?«, hatte Paris gefragt, ohne darauf zu warten, dass Piver seinen Namen nannte. So jemanden brauchten sie fürs AFA -Blatt und für ein paar Homepages.
AFA , Antifaschistische Aktion, es war, als käme er nach ein paar Jugendspielen in die Nationalmannschaft. War es nur wegen Liz? Nein, sie hatte ihn mitgenommen, weil er etwas konnte.
Fieberwarme und undeutliche Szenarien waren vor seinem inneren Auge erschienen. Er als gefeierter Held, aus der Untersuchungshaft entlassen, auf den Stufen des Amtsgerichts, von wo aus er die Internationale vor mehreren hundert Autonomen und laufenden Fernsehkameras sang. Wenn er auf den Kommunentreffen sprach, wurde es still, und man hörte ihm zu. Er kam ohne Umschweife zur Sache und erklärte, wo und wie sie zuschlagen und einen maximalen Effekt erzielen konnten. Und er bot jedes Mal an, die gefährlichsten Aufgaben zu übernehmen, obwohl Liz’ Blicke ihn anflehten, es nicht zu tun. Er war auf dem Weg in den innersten Kern. Hatte er geglaubt.
Aber dem Ratschlag, nicht peinlich zu sein, hatte er nicht Folge leisten können. Zwischen Bohnenpastete und Linsensalat hatte er gefragt, ob denn wohl ein paar spannende Aktionen geplant seien. Liz hatte die Augen verdreht, und ein lähmendes Schweigen hatte eingesetzt, bevor Peter Paris ihn kalt ansah und fragte, woher er komme.
»Aalborg«, hatte er geantwortet, den Mund voll mit braunem Reis.
Das Urteil stand fest.
»Du musst etwas an deinem Akzent tun«, hatte Liz später gesagt. »Und lernen, zum richtigen Zeitpunkt die Klappe zu halten.«
Sie hatten sein Können akzeptiert, ihn aber nicht. Während der ersten paar Monate hatte er gedacht, es sei normal, eine Phase, die jeder zu durchlaufen hätte, aber es war immer weiter gegangen. Er bekam einfach keine Eintrittskarte zum inner circle. Klar, bei Demos war er dabei, aber es wäre auch schwierig gewesen, ihn rauszuhalten, wenn das Flugblatt von ihm layoutet worden war. Nach und nach war ihm aufgegangen, dass die, die er aus dem Jugendzentrum kannte, mit diesen Leuten hier im Großen und Ganzen nichts gemein hatten. Für die eine Gruppe war das 69 ein Zuhause, für die andere war es ein Symbol in einem Krieg, der begonnen hatte, lange bevor er selbst überhaupt wusste, dass es einen Flecken namens Nørrebro auf dieser Erde gab. Die Leute im R 3 waren verbissene Kämpfer, die nicht lange fackelten. Sie lachten nicht an den verkehrten Stellen, stahlen keine Fahrräder, um nach einer durchzechten Nacht nach Hause zu kommen, und man fand sie nicht in Treppenaufgängen liegend, breit von Haschisch und Hochprozentigem. Stattdessen kamen sie in den Knast, waren bei allen großen Demos im Ausland dabei und hatten Freunde in
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