Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Titel: Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
Vom Netzwerk:
Fach mit Kontoauszügen und einem Sparbuch. Sie hatte nicht üppig verdient, aber über Reserven verfügt, sodass sie den Unterhalt für ihre Töchter zahlen konnte. Er fand Überweisungen an eine Fahrschule, für Klassenfahrten, an ein Tanzstudio in der Innenstadt, Amazon-Rechnungen und Kreditkartenabrechnungen.
    In der Schreibtischschublade lag ein ganzer Stapel voll geschriebener Schreibhefte, die wie Tagebücher aussahen. Er nahm sie heraus.
    Es klingelte. Fischer war zurück und fuchtelte ihm mit der CD vor der Nase herum. Als er sah, dass der Computer bereits lief, war er enttäuscht.
    »Wie hast du das geschafft, Stefan?«
    Meißner tippte sich lässig mit dem Finger an die Stirn. »Reine Intuition«, erklärte er möglichst cool. »Klick dich da mal durch und sieh zu, ob du etwas Interessantes findest. Der Drucker ist angeschaltet.«
    »Und was machst du Superhirn inzwischen?«
    »Ich werde nachdenken und mich ein bisschen einlesen.« Er griff nach dem Stapel Hefte. »Und morgen fahren wir zur Familie raus. Sie sind doch verständigt worden?«
    »Ja, die Schwester hat sich auch gleich mit dem Ehemann in Verbindung gesetzt.«
    »Dann frag nach, wann und wo wir ihn morgen erreichen können.« Beim Hinausgehen nahm er sich einige CD s aus dem Regal mit, dann schloss er die Tür hinter sich. Auf dem Weg zum Präsidium kaufte er noch etwas fürs Abendessen und marschierte anschließend mit der Tengelmann-Plastiktüte durch die Stadt.
    Draußen in seiner »Datscha«, wie Carola sie immer genannt hatte, briet er sich ein Omelett, öffnete den Weißwein, schnitt Brot in Scheiben und deckte draußen den Holztisch. Dann legte er eine der CD s von Roxanne Stein in den Player im Auto. Sie war mit »Ingolstadt 2007« beschriftet, auf ihr fand sich eine mehrstimmige Bach-Kantate. Sie kam Meißner bekannt vor, so als habe er sie selbst schon einmal gesungen, in dem Knabenchor, in dem er als Junge Mitglied gewesen war. Der Stimmbruch hatte ihn dann vor weiteren bösen Blicken und Kopfnüssen des Chorleiters gerettet. Genauso wie die anderen Jungen hatte er seinen Eltern nie von den Übergriffen erzählt. Er wusste, warum sie schwiegen. Weil sie sich schämten, und zwar nicht für sich, sondern für ihn, den Chorleiter und genialen Musiker, der so kleinlich und sadistisch mit den ihm anvertrauten Kindern umging. Für ihn hätten sie sich geschämt, hätten Außenstehende von seinem Verhalten erfahren. Mit seinem Austritt aus dem Knabenchor hatte Meißner das Singen aufgegeben, und obwohl es so lange her war, hatten manche Erinnerungen einen Logenplatz im Gehirn – oder wo immer sie sitzen mochten – eingenommen. Zwei Takte Musik genügten, und sie waren wieder da, fast so frisch wie damals. Manchmal hatten die Jungen in kleineren Gruppen auch auf Beerdigungen gesungen.
    Als Kind hatte er geglaubt, dass die Toten im Himmel säßen und von dort auf die Lebenden hinabsähen. Wenn jemand an sie dachte, empfingen sie ein Signal und »schalteten« sich dann auf eine geistige Ebene mit den Menschen, mit denen sie auf Erden verbunden gewesen waren. Später, als Jugendlicher, versuchte er, diese Vorstellung genauer zu ergründen, konnte sie sich selbst aber nicht mehr logisch zusammenreimen. Die simultane Präsenz an verschiedenen Orten, die zeitliche Überlagerung der Ebenen – denn es rückten ja ständig neue Tote nach –, das alles schien ihm immer unvorstellbarer zu werden. Ein Himmel, in dem es zuging wie auf dem Jahrmarkt, das Konzept überzeugte ihn nicht mehr. Schließlich gab er seine Theorie ganz auf und fand sich damit ab, dass die Lebenden einfach nicht wissen konnten, wohin die Toten gingen und ob es von ihrem Reich irgendeine Verbindung zurück zur Welt gab. Und mit seinen Überzeugungen verlor er auch den Kontakt zu seinen Toten. Er wurde nachlässiger und hörte irgendwann ganz auf, für seinen Opa, seine Oma und seine Tante Katharina zu beten. Aber mit jedem neuen Verlust schien es ihm, als würde seine Welt ein wenig kleiner und ärmer. Und er ein bisschen einsamer. Seit Carola sich von ihm getrennt hatte, fürchtete er sich davor, für den Rest seines Lebens allein zu bleiben. Manchmal fuhr ihm das Alleinsein oder die Angst davor wie ein scharfer Wind in alle Glieder. Es war, als könne er in solchen Momenten der Zeit zusehen, wie sie nutzlos verstrich. Er wusste nicht, warum er das mit dem Wort »nutzlos« in Verbindung brachte. Wäre er als Familienvater ein nützlicherer Mensch gewesen? Als Polizeidirektor,

Weitere Kostenlose Bücher