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Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Titel: Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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als Anwalt oder Mediziner? Oder vielleicht als Musiker?
    »Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir. Dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.« Mendelssohn. Der Kommissar hatte lange keine Kirche mehr betreten. Sein Glaube lag ganz unten in einer großen Kiste mit schwerem Deckel. Vergraben unter dem Alltagsmist. Dort saß auch der kleine Junge, genau hier, an dieser Stelle, mit seinem Großvater beim Fischen. Den Köder hatte er vorsichtig auf den Angelhaken gespießt und wartete. Wartete und wartete und beobachtete die Wasseroberfläche wie der Graureiher, der drüben am Ufer stand. Unbeweglich und starr, um dann plötzlich mit seinem scharfen Schnabel ins Wasser zu stoßen, seine Beute zu ergreifen und sie mit einer präzisen Bewegung von Hals und Schnabel zu verschlucken, bevor er wieder in völliger Reglosigkeit verharrte, die dünnen Beine wie Pfähle im schlammigen Boden verankert.
    Wenn er selbst eine Schleie oder Barbe an der Angel hatte, kam ihm der Großvater zu Hilfe, weil er meist nicht schnell genug war mit dem Herausziehen. Der Großvater packte indes beherzt zu, während der kleine Junge wie in Trance zusah, wie er den Fisch vom Haken löste, ihn am Schwanz packte und dann mit dem Kopf gegen den Steg schlug, bis er aufhörte zu zappeln.
    Der Junge litt mit den silbrigen Kreaturen mit. Sein Herz machte noch keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier, Pflanze und Wind. Alles war ihm gleichermaßen beseelt, und die Ehrfurcht vor dem Mysterium des Lebens und des Sterbens stand ihm ins Gesicht geschrieben, wenn die Schleie tot vor ihm auf dem Steg lag. Der Großvater hatte den Eindruck richtig zu deuten gewusst und sich nie über seinen Enkel lustig gemacht.
    So lange war das alles mittlerweile her. So viele Jahre hatte Meißner ohne seinen Großvater auskommen müssen, doch wenn er auf den Steg blickte, konnte er ihn manchmal dort auf einem Stuhl sitzen sehen, dem Wasser zugewandt. Also waren die Toten doch nicht ganz verschwunden. Er trank einen Schluck Wein, der schon warm wurde, und schlug eins der Schreibhefte auf. Als er wieder aufsah, war sein Großvater verschwunden.
    Es waren kürzere und längere Geschichten, vollständige und unvollständige. Die Hefte waren von vorne und von hinten beschrieben worden, in der Mitte trafen die Wörter aufeinander, sodass es meistens mit dem Platz nicht ausging. Die Übergänge waren wie ein Palimpsest. Roxanne Stein hatte mehrfach über- und ineinander geschrieben. Die Geschichten gefielen dem Hauptkommissar nicht alle gleich gut, aber er vergaß die Zeit, während er las, und hörte erst damit auf, als es bereits dämmerte und ihm kalt wurde. Dann packte er die Hefte und die CD s wieder in die Tengelmann-Tüte und fuhr zurück in seine Wohnung.
    Es war schon spät in der Nacht, als er das letzte der Hefte, die er mitgenommen hatte, endlich aus der Hand legte.

VIER
    Am Morgen kam er schwer raus. Die wirren Bilder und die Erinnerungsfetzen aus seinen eigenen Träumen und aus Roxannes Geschichten begleiteten ihn noch unter die Dusche und beim Aufbrühen des Kaffees. Erst als er das Haus verließ und zur Arbeit fuhr, verflüchtigten sie sich.
    Das allmählich zur Gewohnheit werdende »Hi, Stefan!« von Elmar Fischer holte ihn in die Realität zurück. Sein Kollege trug ein schreiend türkisfarbenes Poloshirt. Welcher Herrenausstatter hatte denn bloß solche Schocker in seinem Geschäft? Fischer schien aufgekratzt, beinahe fröhlich.
    »Was gefunden?« Meißner ließ sich auf das Spielchen ein.
    »Hm, kann man so sagen.«
    »Waffenschmuggel oder Raub der Thurn-und-Taxis-Juwelen?«
    »Fast. Die Stein war an einer ganz heißen Sache dran.« Fischer war immun gegen jede Art von Ironie.
    »Jetzt komm schon.« Meißners Geduld hing nur noch am seidenen Faden.
    »Sie arbeitete an einer Reportage über Gewalt gegen Frauen, über Frauenhäuser und so was.«
    »Und so etwas nennst du heiß?«
    »Moment mal, Stefan. Sie ist dabei auf einen brisanten Fall gestoßen. Die Frau eines bekannten Bauunternehmers und Stadtrats soll vorübergehend im Ingolstädter Frauenhaus untergekommen sein. Es gibt eine Liste mit Adressen auf dem Computer der Stein, da ist der Name mit drauf.«
    »Die Liste habe ich auch«, sagte Meißner, während er sie aus der Brusttasche zog. »Wie heißt die Frau?«
    »Meisinger, Antonia.«
    »Die Meisinger?« Natürlich kannte er den Namen. Ihr Mann war ziemlich wohlhabend und einflussreich in der Ingolstädter Politik. Im Stadtrat und im

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