Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
Oliven, der den Küchenbereich vom Lokal abtrennte. Der Hauptkommissar dachte an die trockene rote Erde in den Mittelmeerländern, die Reihen von Olivenbäumen mit ihrem zart-fedrigen Grün, an gedrungene Baumstämme mit schrundiger Haut und Löchern, in denen Wiedehopfe wohnten. Rosmarin- und Thymianduft, Salbei, Minze. Seine Schwester lebte in Istrien, in einem ehemaligen Fischerdorf am Meer. Mit ihrem Mann betrieb sie dort ein Lokal und eine Pension. Er war immer willkommen, zum Auftanken, Fischessen, am Familienleben mit den Kindern teilzunehmen. Wann war er zum letzten Mal da gewesen?
»Möchten Sie noch ein Glas?«
»Nein danke, geht leider nicht.«
Viktor Grünberg. Ein Selbstmörder? Ein Mörder? Ein doppelter Espresso, dann zahlen. Draußen sog der Hauptkommissar die kühler gewordene Luft ein. Die Häuser innerhalb der Stadtmauer waren klein und zweistöckig. Es waren alte Handwerkerhäuser. Ein paar Kneipen gab es hier, einen Spanier, einen Türken. Durch die Goldknopfgasse ging Meißner zur Hohen Schule, in der über dreihundert Jahre lang die Universität untergebracht gewesen war. Die erste bayrische Uni, die 1826 endgültig nach München verlegt wurde. Die Humanisten hatten hier Theologie, Recht, Philosophie und Naturwissenschaften gelehrt. Ein Stück weiter, in der Alten Anatomie, hatte Frankenstein einen künstlichen Menschen geschaffen. Zumindest in dem Roman von Mary Shelley. Es gab so schöne Ecken in Ingolstadt. Man sah sie, wenn man mit offenen Augen und von außen kam. Und die meisten der hundertfünfundzwanzigtausend Ingolstädter wohnten auch außerhalb des historischen Stadtkerns. Man musste nur die Augen aufmachen und in das alte Gesicht dieser Donaumetropole sehen und den alten Geschichten zuhören, die die Stadt zu erzählen hatte.
Auf seinem Rundweg gelangte er wieder zum Parkplatz am Schwimmbad und fuhr über die Ringstraße nordwestlich hinaus zum Audi-Kreisel und Richtung Friedrichshofen, Klinikum. Nachdem er einige Minuten gesucht hatte, fand er die richtige Straße. Um kurz vor neun war das Lokal so gut wie leer. Der Hauptkommissar sah sich interessiert im Café um. Der Konzertraum schien im Untergeschoss zu sein.
»Hey, Mister!«, rief ihm ein junger Mann mit Ziegenbärtchen zu, als er die Treppe hinuntergehen wollte. »Das macht acht Euro Eintritt.«
Meißner zog seinen Ausweis aus der Tasche.
»Ach so«, sagte der junge Mann. »Suchen Sie jemanden?«
»Ich komme schon allein zurecht, danke«, sagte Meißner im Weggehen.
Einige Mitglieder der Band waren bereits auf der rot ausgeleuchteten Bühne beim Soundcheck. Vor der Bühne standen zwei Pärchen. Meißner erkannte Alba Freyberg sofort: Sie trug ihre rot gefärbte Mähne von Dreadlocks mit einem Gummiband gebändigt. Trotz ihrer wilden Rasta-Aufmachung sah sie sehr verwundbar aus.
Nachdem Meißner sich vorgestellt hatte, gingen sie nach oben ins Café. Alba bestellte einen Kirschsaft.
»Ich bin hier, weil mein Freund in der Band spielt. Es ist ihr erster Auftritt vor zahlendem Publikum«, sagte sie.
»Was für ein Instrument spielt denn Ihr Freund?«
»Schlagzeug.«
»Wie geht es Ihnen eigentlich?«, fragte Meißner. »Ich meine, das muss doch sehr schwer für Sie sein.«
Das Mädchen nahm einen Schluck von dem Saft und sah an ihm vorbei in das leere Lokal. Aus dem Keller drangen schwere Bassrhythmen zu ihnen hinauf. Der Boden des Raumes, in dem sie saßen, vibrierte leicht.
»Das Schlimmste für mich ist, dass der Mensch, der das getan hat, noch immer frei da draußen herumläuft«, sagte sie. »Das ist total unheimlich. Richtig bedrohlich. Es fühlt sich an, als stünde er hier irgendwo herum und würde uns beobachten.« Sie drehte sich um und sah zur Tür.
Eine Gruppe Jugendlicher war hereingekommen. Einer von ihnen schubste den, der vor ihm ging, Richtung Bar, als würde er sich selbst nicht trauen.
»Der Mord lässt mir keine Ruhe. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Nur bis zu dem Moment, wenn Sie ihn finden«, sagte Alba.
»Bis wir ganz genau wissen, was passiert ist«, fügte Meißner hinzu. Er konnte das Mädchen gut verstehen. Die Angehörigen waren zuerst einmal in einem seltsamen Schwebezustand gefangen und wie gelähmt. Alltägliche Verrichtungen wurden für die Menschen mit einem Mal sinnlos. Der Alltag schien mit einem Schlag aufgelöst, praktisch nicht mehr existent zu sein. Wenn sie nicht völlig aus ihm herausfielen, dann konnten sie ihn allenfalls mechanisch weiterführen. Aber die
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