Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
mit dem du heute Bekanntschaft machen wirst.«
»Vorausgesetzt, er reißt mir nicht gleich den Kopf ab, wenn er merkt, dass ich nicht die bin, die er erwartet hat. Bist du dir sicher?«
»Er könnte es sein.«
»Wie kommst du darauf?«
Als er ihr alles erzählt hatte, sagte sie kurz und knapp: »Genial, Herr Hauptkommissar.«
»Es ist nur eine Hypothese.«
»Aber dein Instinkt sagt, dass es mehr ist, und meiner ganz spontan auch.«
»Na dann. Was hältst du davon, wenn ich dich noch auf einen Lammspieß in den ›Ölbaum‹ einlade und anschließend zum Einkleiden nach Hause fahre?«
»›Ölbaum‹? Kenn ich gar nicht. Gibt’s den schon länger?« Sie trank ihren Kaffee aus und ging in ihr Büro zurück.
Meißner druckte noch das Foto des Schauspielers aus und fuhr den Computer runter. Dann holte er Marlu ab und fuhr mit ihr zum Taschenturm, wo er wie üblich den Wagen abstellte.
Meißner kannte die Speisekarte praktisch auswendig und konnte sogar eine Empfehlung aussprechen. Das machte sich gut, fand er. Und auf die spanische Köchin im »Ölbaum« war schließlich immer Verlass. Marlu schien das Lokal in seiner Schlichtheit zu gefallen. Sie war noch nie hier gewesen. Irgendwie war doch jeder Bewohner seiner eigenen kleinen Insel und bewegte sich im immer gleichen Dunstkreis um dieses Fleckchen Erde herum. Sogar in einer Stadt wie Ingolstadt, die nicht gerade zu den unüberschaubaren Metropolen dieser Welt zählte. Der Wirt, der ein stiller Mann war, und seine ehrliche Köchin hätten allerdings ein paar Gäste mehr gut vertragen können. Die Männer an der Theke, die hier ihr Nordbräu-Bier tranken, machten den Braten bestimmt nicht fett.
»Lass mich raten, warum du genau hierher zum Essen kommst«, sagte Marlu plötzlich. »Weil es schlicht eingerichtet ist, funktional und nicht verschnörkelt oder verkitscht?«
Meißner nickte amüsiert.
»Weil es hier nicht laut und überfüllt ist. Weil man hier auch ganz gut alleine sitzen und vor sich hin sinnieren kann?«
Er fühlte sich ertappt und überlegte, ob ihre Vermutungen eventuell unangenehm für ihn enden könnten.
»Weil man mitten in Ingolstadt sitzt und sich ganz woanders hinträumen kann?«
Langsam wurde sie ihm unheimlich.
»Noch etwas?«, fragte er unsicher.
»Ja«, sagte sie, »und weil die Speisen und Getränke alle auf eine einseitige DIN-A 5-Speisekarte mit leerer Rückseite passen und somit die Qual der Wahl entfällt.«
»Ich fühle mich total durchschaut«, sagte er.
»Keine Angst«, lachte sie. »Im Grunde weiß ich gar nichts von dir.«
Es wurde Zeit, zu Marlus Wohnung in die Sebastianstraße, in der Nähe der Fachhochschule, zu fahren.
»Bei mir ist nicht gerade aufgeräumt«, sagte sie locker, als sie die Wohnungstür aufschloss. »Hab ja nicht gewusst, dass ich heute noch Herrenbesuch bekomme.«
Es war eine kleine Wohnung. Auf dem Küchentisch stand noch das Frühstücksgeschirr und darüber lag die achtlos zusammengelegte Tageszeitung, was ihr nicht im Geringsten etwas auszumachen schien. Vielleicht ist mein eigentliches Problem ja nicht die Unordnung, dachte er, sondern das Aufheben, das ich darum mache. Vielleicht muss ich einfach lernen, souveräner damit umzugehen. Vielleicht hat es ja auch etwas mit dem Alter zu tun. Jungen Menschen gesteht man ihre Unordnung eher zu als älteren. Eigentlich diskriminierend.
Als Marieluise im Schlafzimmer verschwunden war, öffnete er die Tür zum Balkon, der auf den Innenhof hinausging. Sie waren mitten in der Stadt, und von der Stadtmauer wie auch vom »Graben« umschlossen, der den Altstadtkern wie ein Ring nach Norden hin begrenzte. Es war kein Verkehrslärm zu hören. Hinter den modernen Wohngebäuden um den Innenhof herum war sogar der Turm der Sebastianskirche zu sehen. Die Kombination von Alt und Neu hatte durchaus ihren Reiz, aber Meißner wusste nicht recht, ob er sie schön finden sollte. In der Altstadt zu wohnen, hatte er sich idyllischer vorgestellt. Es gab Wohnungen, die direkt in die Stadtmauer hineingebaut waren und über kleine Gärten verfügten. Sogar die ehemaligen Wehrtürme waren mittlerweile bewohnt. Marlus Wohnlage hingegen war historisch nicht unversehrt. Hier, wie an mehreren anderen Stellen der Innenstadt, war viel abgerissen und neu gebaut worden. Manches ging auf das Konto des Krieges, aber nicht alles. Einige Gebäude wie etwa das Neue Rathaus waren unverzeihliche Bausünden der sechziger Jahre, als den Architekten und Planern kurzfristig der Sinn und
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