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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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tun.
    Samson erbot sich, sie zu begleiten, es gebe ein paar Bücher, die er sich ansehen wolle. Er folgte ihr über die Grünfläche, durch die kühlen Säle der Butler Library, und sie zeigte ihm, wie man am Computer Signaturen fand. Er forschte und hackte mit den Zeigefingern in die Tasten, verstand aber nicht, wie er es fertig bringen sollte, den Cursor mit dem als Maus bezeichneten Ding, das er ruckend und zuckend herumschob, zu bewegen. Er wollte Lanas Offenheit erwidern, ebenso lässig und zwanglos präsent sein, und so erzählte er, wie Anna ihn gedrängt hatte, einen Computerkurs im Y zu besuchen. Vor ein paar Wochen war er hingegangen und hatte sich unter die Teilnehmer gemischt, die klimpernden Damen aus der besseren Gesellschaft, deren manikürte Fingernägel über der Tastatur schwebten, und die Pflegefälle, die warteten, bis der Lehrer ihnen die Computer anstellte. Obwohl ihnen verheißen worden war, das Navigieren im Cyberspace würde ihr Leben verändern, hatte Samson gemerkt, dass er diese Einführung ins 21. Jahrhundert in einer solchen Gruppe nicht ertragen konnte, und war mitten in der Stunde hinausgegangen. Als er Anna davon erzählte, hatte sie geseufzt, die Lippen zusammengepresst und gesagt, er scheine es sich zur Gewohnheit zu machen, mittendrin aufzustehen und hinauszugehen.
    Danach hatten sie sich gestritten, und Samson hatte gesagt, er wünschte, sie würde endlich aufhören, ihm vorzuwerfen, was ihm zugestoßen sei, es sei schließlich eine Krankheit. «Manchmal denke ich, du wärst glücklicher, wenn ich gestorben wäre», hatte er gesagt, trotzdem, obwohl er wusste, wie grausam es war, so etwas zu sagen. Anna hatte ausgesehen wie vor den Kopf geschlagen und angefangen zu weinen. Später entschuldigte er sich, aber die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, verhärteten sich wie das unkenntliche Zeug, das, auf die Straße gegossen, zu monströsen Fossilien erstarrt. Als sie abends im Bett lagen, hatte Anna gesagt: «Vielleicht gehören wir nicht mehr zusammen.» Nicht wissend, was er antworten sollte, hatte Samson in der Dunkelheit ihre Hand gesucht. Er erzählte Lana nicht alles. Nur den Anfang, bis er aufgestanden und gegangen war.
    Sie fuhren mit dem Aufzug nach oben zu den Magazinen. Lana zeigte ihm, wie man in den geheimnisvollen, düsteren, von schwachen Glühbirnen erleuchteten Abteilungen Bücher fand. Dann sagte sie in gedämpftem Ton «Viel Glück», ging um die Ecke und verschwand, ein elektrisches Knistern in der Luft zurücklassend. Er nahm ein paar Bücher, die sie empfohlen hatte, ließ sich auf den kalten Boden rutschen und fing an zu lesen. Bald nahm er den leichte Übelkeit erregenden Geruch vergilbten Papiers schon nicht mehr wahr.

E r kehrte oft in die Bibliothek zurück, und manchmal traf er Lana nach ihren Seminaren zum Mittagessen. Sie sterbe vor Hunger, sagte sie dann, sie müsse schnell etwas in den Magen bekommen, ehe sie umfalle . Sie sprinteten über den Broadway, im Zickzack durch den fließenden Verkehr, und hockten sich in einen Nudelimbiss oder holten sich eingewickelte Falafel, die sie in den Riverside Park mitnahmen, wo sie Kajaks den Hudson hinaufgleiten sahen und sich eine Indianerwildnis ausmalten. Es war erst Anfang September und der Herbst noch weit entfernt von New Jerseys grünem Ufer, das flussaufwärts unberührt und fast idyllisch wirkte. Sie diskutierten, ob es möglich wäre, hinüberzuschwimmen, wie lange es dauern würde und wie weit es war, sprachen über den dramatischen Sprung ins dunkle Wasser und den Blick zurück nach Manhattan.
    «Vor ungefähr zwanzig Jahren ist ein Mädchen durch die Beringstraße geschwommen», sagte Lana. «Es war eine Art Statement. Sie wollte für Freundschaft und Völkerverständigung zwischen den USA und der Sowjetunion werben. Eine Langstreckenschwimmerin, ich habe ihren Namen vergessen, aber das Wasser war eiskalt, und sie trug nur einen Badeanzug.»
    «Und, hat sie’s geschafft?»
    «Ja, hat sie. Sie war schon ein paar Mal durch den Ärmelkanal geschwommen. Irgendwo habe ich gelesen, dass man dafür eine besondere Art Körperfett braucht. Zur Isolierung, gleichmäßig über den ganzen Körper verteilt.»
    «Du würdest das keine Minute überleben», sagte Samson, indem er gestikulierend auf ihr dürres Knochengerüst verwies.
    «Oh, ich bin taff.» Sie ließ ihre Muskeln spielen, ein Witz.
    «Bestimmt.»
    «Mein Hauptproblem ist eher, dass ich kein tiefes Wasser mag. Ein schrecklicher Gedanke, mit
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