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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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nicht, ob ich Auto fahren kann.»
    «Stimmt, ja natürlich. Dann rufen wir eben ein Taxi.»
    Samson folgte Ray die breiten, flachen, an Stahlstangen von der Decke schwebenden Stufen hinauf. Das Gästezimmer lag am Ende des Flurs an der Seitenwand des Hauses, mit Blick auf einen Swimmingpool, an dessen Oberfläche tote Blätter trieben.
    «Hier ist das Bad», sagte Ray. «Handtücher müssten da sein.» Er machte Licht.
    Samson nickte und lächelte. Er empfand einen Anflug von Zärtlichkeit für Ray Malcolm und musste den Impuls unterdrücken, ihn in die Arme zu nehmen.
    «Danke.»
    «Ich bin froh, dass Sie hier sind, Samson. Schlafen Sie gut, wir sehen uns zum Frühstück. Wecken um acht?»
    «In Ordnung.»
    «Also. Dann gute Nacht.» Ray begann die Tür zu schließen.
    «Ray?»
    «Ja?»
    «Was mir durch den Kopf gegangen ist, an dem Abend, als Sie mich das erste Mal angerufen haben? Nach dem Footballspiel, wissen Sie noch?»
    «Sicher.»
    «Haben Sie mich von hier aus angerufen?»
    «Ich glaube schon, ja.»
    «Es kam jemand herein, wissen Sie noch? War das ein anderer, der die Erinnerung verloren hat?»
    «Nein. Genau genommen war es einer, der eine Erinnerung hat, die mich interessiert. Eine ziemlich ungewöhnliche.»
    «Oh.»
    «Jetzt schlafen Sie erst mal. Keine Sorge, wir haben Zeit zu reden.»
     
    Samson nahm eine Dusche und bestäubte sich mit dem Talkumpuder, das er im Medizinschränkchen fand. Er rubbelte sein Haar trocken – inzwischen war es ziemlich lang und fiel ihm in die Augen, sodass er es oft zurückstreichen musste. Er tastete die Kopfhaut nach der Narbe ab.
    Er las den Rolling Stone von vorn bis hinten, dann knipste er das Licht aus. Er wusste nicht genau, was er eigentlich hier machte, in diesem seltsamen Haus mit Blick auf Los Angeles. Vielleicht hätte er nicht kommen sollen. Aber Ray Malcolms Stimme hatte etwas an sich, was ihn ermutigte, und wie es schien, hatte er nichts mehr zu verlieren.
    Genau jetzt, in diesem Augenblick, fuhr Lana vielleicht über den Highway, um die Kurve einer Ausfahrt. Rauf oder runter, die Richtung wechselnd, Radio hörend und vor sich hin singend. Anna schlief vermutlich. Frank atmete im Dunklen. Es war etwas Tröstliches an dem Gedanken, dass all diese Dinge gleichzeitig geschahen.

S amson starrte aus dem Fenster auf den halb leeren Swimmingpool, als Ray um acht Uhr klopfte. Er hatte sich immer einen Pool gewünscht, und mit sechs war er auf die Idee gekommen, hinter dem Haus selbst einen zu graben. Ich grabe einen Pool , hatte er seiner Mutter gesagt. Sie blickte von ihrer Zeitschrift auf, das Gesicht von einem Strohhut beschattet. Prima , hatte sie gesagt, ich ziehe mir schon mal den Badeanzug an.
    «Lassen Sie sich Zeit», sagte Ray.
    Im Tageslicht wirkte das Haus älter, schäbiger als am Vorabend. Außen blätterte die weiße Farbe ab, angegraut von Feuchtigkeit.
    «Ich habe es 1970 gebaut. Damals war es hochmodern», erklärte Ray, der eine Kanne Kräutertee und eine Schale Obst hinaustrug. Samson folgte ihm auf die Schieferterrasse. Es gab einen Tisch und ein paar mit Plastik bespannte Gartenstühle von der Art, die Striemen an den Beinen hinterlassen.
    «Ich hatte einen berühmten Architekten, der inzwischen fast vergessen ist. Das Haus erschien in Zeitschriften und so. Meine Frau musste wegen jedem bisschen mit ihm streiten. Er wollte das Kinderzimmer an Seilen aufhängen. Die Kids sollten mit Flaschenzügen rauf- und runterkommen. Gerade mal zwei und vier Jahre alt, wie Tarzans.»
    Ein Rasenmäher brummte in der Ferne.
    «Das Grundstück hatte ich schon vier oder fünf Jahre vorher gekauft, und zuerst wohnten wir in dem Bungalow, der darauf stand. Das Haus eines Fernsehunterhalters. Unser Plan war, es abzureißen und dieses zu bauen, sobald wir das Geld hatten, darum richteten wir uns gar nicht erst allzu häuslich ein. Komisch, dann zogen wir in das neue Haus, aber das Gefühl blieb. Wir lebten hier wie in den Flitterwochen.»
    Jetzt fiel Samson ein, woran ihn das hier die ganze Zeit erinnert hatte. Ray hatte das Haus eines Fernsehunterhalters abgerissen und stattdessen eine Filmkulisse aufgebaut.
    «Es ist wirklich wunderschön. Aber für eine Familie nicht unbedingt gemütlich.»
    «Stimmt.» Ray lehnte sich auf dem Stuhl zurück, ein Mann, der ein Haus – ein ganzes Reich – errichtet hatte und sich die Großzügigkeit leisten konnte, seine Fehler zuzugeben. «Eigentlich sollte ich es verkaufen, ich bin selten da. Aber wenigstens wartet es, wenn

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