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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Telefon zu schreien, zu wüten, um das Ausmaß seines Schmerzes deutlich zu machen. Er wollte doch so wenig – nur dass ihm der Ton des Fernsehers durch die Nacht half, Regenverheißungen für anderswo, und sogar diese bescheidene Kleinigkeit blieb ihm versagt. Er fühlte sich niedergeschmettert, grundlos ins Unrecht gesetzt, und vielleicht merkte die Frau das seiner Stimme an, denn als sie wieder sprach, war die ihre sanfter.
    «Ich muss das fragen. Sie würden sich wundern. Manche Leute glauben, wenn sie das Zimmer betreten, müsse der Fernseher laufen. Tut er es nicht, rufen sie an und beschweren sich, er sei kaputt.»
    Er fragte sich, ob er tatsächlich die Baracke der Rezeption erreicht oder versehentlich eine falsche Nummer in der Fremde gewählt hatte. Sollte er allen Ernstes glauben, dass es hier draußen Leute gab, ganz normale Gäste, die überzeugt waren, ein Fernseher müsse laufen, sonst sei er kaputt?
    «Schauen Sie», flehte er. « Bitte . Ich bitte Sie freundlichst, könnten Sie meinen Fernseher reparieren? Seien Sie so gut, seien Sie …» Er knetete sich die Stirn vor Verzweiflung. «Sie wissen gar nicht, wie viel mir das bedeutet.»
    «Sir?» Ihre Stimme klang matt. Versprach nichts. Vermutlich war sie Psychopathen und Mörder gewöhnt. Dies war schließlich Las Vegas. Sie musste im alltäglichen Umgang mit Selbstmorden geschult worden sein. Eine Frau, die sich mit Kreidemarkierungen auskannte, die hundert Möglichkeiten nennen konnte, wie ein Körper ausgebreitet auf dem Boden landet. Ein kaputter Fernseher war kein Grund, sich aufzuregen, nicht für sie. Es gab andere, die sie brauchten, Menschen, die genau in diesem Moment anriefen und die sie retten konnte, indem sie einfach antwortete, wie sie es eben getan hatte, in scheinbar überraschtem Ton, als wären sie die Einzigen. Einsame, verlorene Menschen, denen sie Motelzimmer in Vegas spendete wie einen Segen, Menschen, denen sie helfen konnte, noch eine Nacht zu überleben. «Ich versuche, so schnell wie möglich jemanden vorbeizuschicken», sagte sie. Mehr könne sie nicht tun, und weil das nicht genug war, weil er die Stille im Raum nicht ertrug, stand er auf und ging in die Nacht hinaus.
    Er hatte eine Erinnerung an Las Vegas, auf dem Weg zum Flughafen durchs Fenster des Taxis, als Anna gekommen war, um ihn nach Hause zu holen. Die Lichter hatten ihn verblüfft, eine Stadt, die gegen jede Vernunft existierte – der schieren Realität zuwider – und eine einzige affirmative Botschaft sendete: JA! JA! JA! Ein Jahr war vergangen, seit er in einem fremden Leben aufgewacht war, in einer Stadt, von der niemand erklären konnte, warum er dorthin gekommen war. Und jetzt, da er benommen den Strip hinunterging, waren es nicht die Neonlichter, sondern andere Leute, die er sich nicht erklären konnte, umschlungene Paare oder dichte Pulks, Leute, die glücklich wirkten, regelrecht strahlend und Händchen haltend, ein Mann, der einer Frau in den Po kniff, worauf sie lachte und ihn auf seinen schlug, Leute, die so frei waren, einander zu berühren, die etwas miteinander zu reden hatten und Geheimausdrücke teilten, die nur sie verstanden, die sich, o Gott, an ihre erste Begegnung erinnerten.
    Er ging in ein Casino und wanderte an den Tischen entlang, drängte sich in eine um ein Würfelspiel versammelte Menge. Vielleicht ist es ja gar nicht so schwer, dachte er bei sich, schieb dich einfach zwischen den dicken Kerl hier und die Dame im goldenen Kleid, und schon bist du drin, Teil des Ganzen, mitzitternd im Glanz des High Rollers und seiner Glückssträhne, im Vorteil gegen die Bank. Und eine Weile war alles gut, der Schrecken wich von ihm. Aber dann begann der Mann zu verlieren, die Stimmung schlug um, und bald wurde Samson hinausgeschoben und wanderte wieder durch das Labyrinth von Spielautomaten und Filztischen. Er sah, wie ein schwergewichtiger Mann mit schweißgetränktem Hemd seinen Körper hängen ließ, während die Rausschmeißer ihn über den Boden schleiften; wie er einen Schuh verlor, der liegen blieb, bis eine Kellnerin ihn aufhob und auf einem Tablett mit leeren Cocktailgläsern wegtrug. Ein Mann, der vielleicht seit Jahren verschuldet war, der Sicherheiten gegeben und später gemerkt hatte, dass er ohne sie nicht leben konnte.
    Es gab keine Uhren im Casino, keine Fenster, nichts, was darauf hinweisen konnte, dass die Zeit an diesem Ort irgendeine Rolle spielte. Keine Spiegel, keine Selbstprüfung. Auf dem Hinweg war er in einen

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