Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Spirituosenladen gegangen, um etwas Whiskey zu kaufen. Das passte zu dem neuen Bild, das er sich zulegen wollte: ein ganzer Kerl, der es mit jedem aufnehmen konnte, der sich nicht übers Ohr hauen ließ. Er hatte auf die einzige Marke gezeigt, die er wiedererkannte, Jack Daniel’s. Ein Schild gemahnte an die Ausweispflicht, also zückte er seine Papiere und zeigte sie dem Angestellten. Der Mann lachte und sah ihn seltsam an. «Keine Sorge, Mann. Ich glaub Ihnen schon.» Samson hatte auf den Boden gestarrt, während der andere das Wechselgeld herauszählte.
An der Wand war eine Reihe Münzfernsprecher. Er ging in eine Zelle und zog die Flasche aus der Papiertüte. Dann warf er einen Quarter ins Telefon und wählte die Nummer des Motels. Er schraubte den Deckel auf und nahm einen Schluck.
«Hallo?» Es war wieder die Heilige im Empfang, die das Telefon bediente wie eine Gewerbsmäßige. Samson zuckte zusammen, als sich der Alkohol durch seine Kehle bis hinunter in den Magen brannte. «Was kann ich für Sie tun?», fragte sie.
«Ich wollte mich erkundigen, ob mein Fernseher inzwischen repariert ist.»
«Welche Zimmernummer?»
Wie viele Leute mochten seit vorhin einen kaputten Fernseher gemeldet haben, wunderte er sich, dass sie ihn schon vergessen hatte?
«Zwölf siebenundvierzig. Wissen Sie nicht mehr? Ich habe am frühen Abend angerufen.» Er hörte sie klimpernd mit den Fingern über das Schlüsselbrett fahren.
«Hm, ja …» Er nahm noch einen Schluck Whiskey, während sie in den Karteikarten suchte. Vielleicht war sie doch unerfahrener, als er gedacht hatte. Mitnichten eine Heilige, sondern ein Lehrling. «Sieht so aus, als wäre der Techniker vor einer Stunde geschickt worden. Dürfte in Ordnung sein.»
«Wie spät ist es?»
«Vierzehn Minuten nach zehn», antwortete sie und fügte nachträglich «abends» hinzu, für den Fall, er wäre einer von denen, die den Verstand verloren haben.
Aber er hatte seinen Verstand nicht verloren. Im Gegenteil, er hatte alles andere verloren. Sein Gedächtnis, seine Frau, seine Arbeit, seine Freunde, vierundzwanzig Jahre seines Lebens – aber nicht seinen Verstand. Außer ihm war nichts geblieben, und Samson hatte sich in ihn zurückgezogen, weil es kein Anderswo gab. Er nahm noch einen Schluck und steckte den Jack Daniel’s in die Innentasche seiner hellbraunen Windjacke. Er stützte sich auf das schmierige Messinggeländer des Balkons und überschaute den Casinosaal: es wurde gezockt, getauscht, getäuscht und abgeräumt, gemischt und betrogen, während Spieler ihre Brillen putzten, sich die Eier zurechtrückten, ihre Chips zu Säulen häuften und blitzende Lichter sie umkreisten, eine Bingo-Spielerin mit offenem Mund auf einem Sessel eingeschlafen war und eine Frau ihre Handtasche unter einen Spielautomaten hielt, der die ganzen von ihr selbst hineingestopften Münzen wieder ausspuckte, und was für ein Sieg, wunderte sich Samson, war das? Nein, es war nichts mehr übrig außer dem Verstand. Alles andere verlebt oder verloren, und jetzt überschaute er den Schaden, kippte den Jack Daniel’s herunter und sah sich den Trümmerhaufen an.
Der Alkohol begann sein Unglück zu vernebeln. Er ging los, eine Zigarette auftreiben, und kam an drei Jungen vorbei, nicht älter als fünfzehn oder sechzehn, herausgeputzt in Anzug und Fedora-Hut, wie halbwüchsige Mafiosi.
Sie redeten mit ernsten Stimmen, wahrscheinlich über den nächsten Schritt ihres Plans, nachdem es ihnen gelungen war, sich ins Casino einzuschmuggeln. Der eine hielt verdeckt eine Zigarette in der hohlen Hand und zögerte, als die beiden anderen zu den Kartentischen gingen. Samson trat näher. Der Junge blickte argwöhnisch auf, wappnete sich.
«Hey», nickte Samson, die Hand an die Brust gedrückt, wo die Flasche in Sicherheit war. Der Junge nickte zurück, lehnte sich steif gegen die Wand. «Hast du ’ne Zigarette übrig?»
Das gefiel dem Jungen. Er richtete sich auf und langte in die Brusttasche, schob die Geldbörse beiseite, um an das Päckchen zu kommen. Wahrscheinlich hofften die drei auf ein gemeinsames Abenteuer, hatten alles zusammengekratzt – jahrelang gespartes Taschengeld, Selbstverdientes aus Sommerjobs beim Rettungsdienst im öffentlichen Schwimmbad, Geld von der Bar Mizwa oder was immer die christliche Entsprechung war, Taufe oder Firmung, die Trinkgelder von Eltern, die ihnen ihre Kinder im Babybecken überließen –, all diese verschwitzten, zerknüllten, oft abgezählten Scheine
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